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An Auguste Gräfin zu Stolberg

[Offenbach, 3. August 1775.]

Gustgen! Gustgen! Ein Wort dass mir das Herz frey werde, nur einen Händedruck. Ich kann Ihnen nichts sagen. Hier! – Wie soll ich Ihnen nennen dashier! Vor dem Stroheingelegten bunten Schreibzeug – da sollen feine Briefgen ausgeschrieben werden [272] und diese Trähnen und dieser Drang! Welche Verstimmung. O dass ich Alles sagen könnte. Hier in dem Zimmer des Mädgens das mich unglücklich macht, ohne ihre Schuld, mit der Seele eines Engels, dessen heitre Tage ich trübe, ich! Gustgen! Ich nehme vor einer Viertelstunde Ihren Brief aus der Tasche, ich les ihn! – Vom 2. Jun.! und Sie bitten, bitten, um Antwort, um ein Wort aus meinem Herzen. Und heut der 3. Aug. Gustgen und ich habe noch nicht geschrieben. – Ich habe geschrieben, der Brief liegt in der Stadt angefangen. O mein Herz – Soll ich's denn anzapfen, auch dir Gustgen, von dem Hefetrüben Wein schencken! – Und wie kann ich von Frizzen reden, vor dir, da ich in seinem Unglück, gar offt das meine beweint habe. Lass Gustgen. Ihm ist wohler wie mir. – Vergebens dass ich drey Monate, in freyer Lufft herumfuhr, tausend neue Gegenstände in alle Sinnen sog. Engel, und ich sizze wieder in Offenbach, so vereinfacht wie ein Kind, so beschränckt als ein Papagey auf der Stange, Gustgen und Sie so weit. Ich habe mich so offt nach Norden gewandt. Nachts auf der Terasse am Mayn, ich seh hinüber, und denck an dich! So weit! So weit! – Und dann du und Friz, und ich! und alles wirrt sich in einen Schlangenknoten! Und ich finde nicht Lufft zu schreiben. – Aber iezt will ich nicht aufhören biss iemand an die Thüre kommt und mich wegrufft. Und doch Engel manchmal wenn die Noth in meinem Herzen der grösst[!] [273] ist, ruf ich aus, ruf ich dir zu: Getrost! Getrost! Ausgeduldet und es wird werden. Du wirst Freude an deinen Brüdern haben, und wir an uns selbst. Diese Leidenschafft ists die uns aufblasen wird zum Brand, in dieser Noth werden wir um uns greifen, und brav seyn, und handeln, und gut seyn, und getrieben werden, dahin wo Ruhe Sinn nicht reicht. – Leide nicht vor uns! – Duld uns! – Gieb uns eine Trähne, einen Händedruck, einen Augenblick an deinen Knieen. Wische mit deiner lieben Hand diese Stirn ab. Und ein Krafftwort, und wir sind auf unsern Füssen.

Hundertmal wechselt's mit mir den Tag! O wie war mir so wohl mit deinen Brüdern. Ich schien gelassen, mir war's weh für Frizzen der elender war als ich, und mein Leiden war leidlicher. Jetzt wieder allein. –

In ihnen hatte ich Sie bestes Gustgen, denn ihr seyd eins in Liebe und Wesen. Gustgen war bey uns und wir bey ihr! – Jetzt – nur ihre Briefe! – Ihre Briefe! – und Nur dazu – Und doch brennen sie mich in der Tasche – doch fassen sie mich wie die Gegenwart wenn ich sie in Glücklichem Augenblick aufschlage – aber manchmal – offt sind mir selbst die Züge der liebsten Freundschafft todte Buchstaben, wenn mein herz blind ist und taub – Engel es ist ein Schröcklicher Zustand die Sinnlosigkeit. In der Nacht tappen ist Himmel gegen Blindheit – Verzeihen [274] Sie mir denn diese Verworrenheit und das all – Wie wohl ist mir's dass ich so mit Ihnen reden kann, wie wohl bey dem Gedancken, Sie wird dies Blat in der Hand halten! Sie! Dies Blat! das ich berühre das iezt hier auf dieser Stäte noch weis ist. Goldnes Kind. Ich kann doch nie ganz unglücklich seyn. Jezt noch einige Worte – Lang halt ich's hier nicht aus ich muss wieder fort - Wohin! –

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Ich mache Ihnen Striche denn ich sas eine Viertelstunde in Gedancken und mein Geist flog auf dem ganzen bewohnten Erdboden herum. Unseeliges Schicksal das mir keinen Mittelzustand erlauben will. Entweder auf einem Punckt, fassend, festklammernd, oder schweifend gegen alle vier Winde! – Seelig seyd ihr verklärte Spaziergänger, die mit zufriedener Anständiger Vollendeung ieden Abend den Staub von ihren Schuhen schlagen, und ihres Tagwercks Göttergleich sich freuen – – – – –

Hier fliest der Mayn, grad drüben liegt Bergen auf einem Hügel hinter Kornfeld. Von der Schlacht bey Bergen haben Sie wohl gehört. Da lincks unten liegt das graue Franckfurt mit dem ungeschickten Turn, das iezt für mich so leer ist als mit Besemen gekehrt, da rechtsauf artige Dörfgen, der Garten da unten, die Terrasse auf den Mayn hinunter. – Und auf dem Tisch hier ein Schnupftuch, ein Pannier ein Halstuch drüber, dort hängendes lieben Mädgens Stiefel. [275] NB. heut reiten wir aus. Hier liegt ein Kleid, eine Uhr hangt da, viel Schachteln und Pappendeckel, zu Hauben und Hüten – Ich hör ihre Stimme – – Ich darf bleiben, sie will sich drinne anziehen. – Gut Gustgen ich hab Ihnen beschrieben wie's um mich herum aussieht, um die Geister durch den sinnlichen Blick zu vertreiben – – Lili war verwundert mich da zu finden, man hatte mich vermisst. Sie fragte an wen ich schriebe. Ich sagts ihr. Adieu Gustgen. Grüssen Sie die Gräfin Bernstorff. Schreiben Sie mir. Die Silhouette werden Ihnen die Brüder geschickt haben. Lavater hat die vier Heumans Kinder sehr glücklich stechen lassen.

Der unruhige.

Lassen Sie um Gottes Willen meine Briefe niemand sehen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1775. An Auguste Gräfin zu Stolberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7B04-8