6/1957.

An Charlotte von Stein

[Eisenach] d. 28. Jun. 84.

Nun wird es balde Zeit liebe Lotte daß ich wieder in deine Nähe komme denn mein Wesen hält nicht mehr zusammen, ich fühle recht deutlich daß ich nicht ohne dich bestehen kann. Der Ausschußstags Abschied ist signirt nun kan es nicht lange mehr währen ich rechne noch eine Woche, dann werde ich loskommen können. Das Wetter ist höchst elend man kann nicht vor's Thor, und was innerhalb der Mauern von Schönheiten und Artigkeiten lebt, hat allenfalls nur einen augenblicklichen Reitz für mich und kann kaum das Regenwetter balanciren geschweige einen so wesentlichen Mangel als der ist den ich von Morgen bis zu Abend empfinde.

[318] Ja liebe Lotte ietzt wird es mir erst deutlich wie du meine eigne Hälfte bist und bleibst. Ich bin kein einzelnes kein selbstständiges Wesen. Alle meine Schwächen habe ich an dich angelehnt, meine weichen Seiten durch dich beschützt, meine Lücken durch dich ausgefüllt. Wenn ich nun entfernt von dir bin so wird mein Zustand höchst seltsam. Auf einer Seite bin ich gewaffnet und gestählt, auf der andern wie ein rohes Ey, weil ich da versäumt habe mich zu Harnischen wo du mir Schild und Schirm bist. Wie freue ich mich dir ganz anzugehören. Und dich nächstens wieder zu sehen.

Alles lieb' ich an dir und alles macht mich dich mehr lieben.

Der Eifer wie du in Kochberg deine Haushaltung angreiffst von dem mir Stein mit Vergnügen erzählt, vermehrt meine Neigung zu dir, läßt mich deine innerlich thätige und köstliche Seele sehn. Lotte bleibe mir und was dich auch interessiren mag, liebe mich über alles.


d. 1. Jul.

Der verlohrne Monat ist nun herum und der neue lässt mir Hoffnung dich balde zu sehen.

Fritz sagt mir er habe eine solche Sehnsucht nach Weimar daß es ihn in den Knieen ziehe, ich habe mit ihm drüber gescherzt, ihn ausgelacht und heimlich noch grösere Sehnsucht empfunden.

Heute erhalten die Stände den Abschied und ich[319] will eilen was ich kann um was noch nöthig ist zu besorgen, damit ich bald fortkomme.

Der Schmäuse drängt einer den andern, und man kann nicht alle ausweichen, ich finde es eine böse Art. Adieu L. Lotte ich habe viel zu thun, und bin ganz dein.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1784. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7B1D-1