44/78.

An den Erbprinzen Carl Anton Friedrichvon Hohenzollern-Sigmaringen

[Concept.]

[12. Mai 1828.]

Durchlauchtigster Erbprinz,
gnädigster Fürst und Herr!

Ew. Durchlaucht verzeihen gnädigst wenn ich auf das unter dem 30. März an mich erlassene vertrauenvolle Schreiben erst später Gegenwärtiges zu vernehmen gebe, in Betracht der Wichtigkeit jener mir zugegangenen Anfrage.

Vor allen Dingen hielt ich für nöthig, mir das Programm zu verschaffen, welches die Vorlesungen auf der Genser Akademie für das letzte Jahr ankündigt.[88] Daraus ersehe ich nun, daß ein vollständiger Cursus daselbst gelehrt werde, in welchem man sich von dem Nothwendigsten der Wissenschaften durchaus belehren kann.

Wenn auch einiges daran für einen vollkommenen Cursus, wie er auf andern Universitäten vorgetragen wird, ermanglen sollte, so geht doch nichts ab, wovon ein junger Mann Kenntniß zu nehmen hat, der zwar nicht zum Gelehrten bestimmt ist, aber doch in wissenschaftlichen Dingen bewandert seyn muß, um nirgends fremd zu erscheinen und auch das im Leben vorkommende Wissenschaftliche beurtheilen zu können.

Waltet nun auch, wie aus dem Programm hervorgeht, in Absicht auf allgemein höhere Bildung die Mathematik vor, so fehlt es doch nicht an philosophischen Lehrstunden, welche in obiger Betrachtung um so zureichender seyn dürften, als mir ein Freund versichert, daß auch die Geschichte der Philosophie von der älteren bis auf die neuere Zeit und folglich auch der Gang der deutschen Philosophie in den letzten Jahren vorgetragen und davon soviel überliefert wird, als wenigstens zur historischen Kenntniß dieser lebhaften geistigen Bewegung hinreichend seyn möchte.

Sobald es nun die Bildung eines jungen Weltmannes, wenn ich so sagen darf, betrifft, so darf ich wohl meine Überzeugung folgendermaßen aussprechen: Die Genfer Lehranstalt geht mir einer ihr eigenen [89] Methode auf den nicht anders als zu billigenden Zweck los, junge Männer in demjenigen auszubilden was zum praktischen Leben am entschiedensten gefordert wird, und was die höhere Geistesbildung anbelangt, so gibt sie dabey, und nicht mit Unrecht, der Mathematik einen hohen Rang.

Das Gewicht, das auf deutschen Universitäten theoretischen Ansichten, wozu uns die Philosophie befähiget, gegeben wird, ist ihr daher fremd und der Gang, welchen deshalb die deutsche Bildung nimmt, mit jener beynahe unverträglich. Ist nun ein junger Cavalier, daß ich mich dieses Ausdrucks hier bediene, auf jene Weile in Wissenschaft und Leben eingeleitet worden, so dürfte ihm ein philosophischer Unterricht, wie er ihn in Deutschland finden könnte, vielleicht nur irre machen; denn unsre neuste Philosophie, die sich auf jene frühere von Kant und Fichte eingeleitete Lehre bezieht, ist mit sich selbst noch in Zwiespalt. Hegel in Berlin, Schelling in München contrastiren auf eine lebhafte Weise mit einander, indem sie ganz nah verwandte Überzeugungen jeder auf eine andere und eigne Art als folgerecht will gelten lassen. Wir andern, die wir dem Gang dieser Lehren seit so vielen Jahren ununterbrochen gefolgt sind und gewissermaßen in diesem Felde mitgewirkt haben, begleiten diese aus successiver Aufklärung entspringenden Irrungen nur mit Anstrengung und können keineswegs einem jungen Manne von Stande rathen, sich in diese auf ganz eigne [90] Weise das Leben betrachtende, in's Leben einwirkende Grundlehren miteinzulassen.

Ihr Herr Sohn hat, wie Hofrath Soret von Genf, welcher der Erziehung unsres theuren Erbprinzen vorsteht, versichert, sehr schöne Anlagen zur Mathematik und hat sich darin den Beyfall seiner bisherigen Lehrer erworben. Lasse man ihn auf diesem Wege fort fahren und an dem Orte, wo er seine Zeit bisher so nützlich angewendet hat, seine Ausbildung erlangen.

Ich erlaube mir noch eine ganz besondere Betrachtung hinzuzufügen: Mna sucht in Deutschland männliche und weibliche Gouvernanten von Genf herzuziehen, wie denn auch eben genannter Herr Soret ein Genfer ist, und dieß nicht allein um des Französischen willen, sondern auch weil man dort überhaupt die Elemente einer gewissen schicklichen Lebensweise vorauszusetzen scheint. Sollte nun jene Stadt der man zutraut, daß sie Prinzenhofmeister erziehen könne, nicht auch unmittelbar einen Prinzen auszubilden im Falle seyn?

Ich muß um Verzeihung bitten, wenn ich diese Betrachtungen mehr an einander häufe, als daß ich sie folgerecht aufzustellen gegenwärtigen Augenblick im Stande wäre.

Noch aber bleibt die bedenkliche Frage zurück, wie nun in der nächsten Folgezeit ein Gouverneur und fernerer Lebensbegleiter für einen jungen Mann der Art zu finden seyn möchte?

[91] Wenn Herr v. Humboldt zu einem Offizier gerathen hat, so gebe ich einem solchen Gedanken auch meinen Beyfall. Er dachte dabey wohl an das preußische Militär, in welchem freylich dergleichen tüchtige und schickliche Personen leicht zu finden seyn möchten; allein ich habe in diesem Kreise keine derartigen Verhältnisse die mich berechtigen, einen solchen Mann vorzuschlagen, ja nur auf denselben hinzudeuten; auch würde mir bey näherer Betrachtung der Umstände die Differenz wieder zu Sinne kommen, welche zwischen dem nördlichen und südlichen Deutschland obwaltet. Ich würde daher in dem vorliegenden Falle vielleicht räthlicher finden, aus dem württembergischen oder bayrischen Militär, wo es gewiß unterrichtete Männer gibt, einen solchen aufzusuchen, besonders da Höchst Dieselben in Ihren Verhältnissen sowohl durch Nachrichten und Empfehlungen als durch eigenes Urtheil den sichersten Weg wohl finden dürften.

Ich muß um Verzeihung dieses weitläufigen Schreibens bitten, das eigentlich kein Resultat herbeyführt und nur davon Zeugniß geben kann, daß ich diese auch mir so wichtige Angelegenheit wiederholt durchgedacht und nur allein gegen Veränderung des bisherigen Lebensgangs, gegen Einschritt in fremde Verhältnisse meine Stimme abgelegt habe.

Wie nun dem auch sey, so bitte Höchst Dieselben daran meine ununterbrochene wahrhafte Verehrung zu erkennen und anzunehmen. Könnte ich irgend zur[92] Überzeugung gelangen, daß in unsern Gegenden für einen so werthen jungen Mann ein Aufenthalt räthlich und nützlich seyn dürfte, so wär es mein eigener und meiner Umgebung Vortheil, hierin Höchst Denenselben zu Diensten zu seyn. Wie ich aber auch die Sache überlegt und mit einsichtigen Freunden besprochen, so fanden wir uns doch in dem Falle, immer auf das obige Resultat zurückzukommen.

Der ich pp.

Weimar den 9. May 1828.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An den Erbprinzen Carl Anton Friedrichvon Hohenzollern-Sigmaringen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7B3F-6