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An Johann Jacob und Marianne von Willemer

Anstatt ein langes Verzeichniß aller Hindernisse zu geben, die sich einem schriftlichen Besuch bey meinen theuren Freunden in den Weg stellen, versichere lieber, daß ich, wie früher den Mond, eben so auch die Sterne, nicht weniger die Sonne zum Zeugen anrufen könnte, daß meine Gedanken immer dort sind, wohin sie lange gewidmet waren.

[119] Das vor einiger Zeit angelangte niedliche Kästchen mit anmuthigem Inhalt machte mir viel Freude, doch wüßte ich die angedeuteten Pfeile nicht anders zu versenden als eben auch dahin, wohin schon viele gerichtet wurden, immer mit ganz entschiedener Etiquette.

Der leichte Schleyer kam auch gar sehr gelegen, denn ich konnte ihn alsogleich einem artigen Wesen umhängen, dessen zierlich-grilliger Lebenswandel einem beweglichen Kampf zwischen Paradies-Vögeln und Schmetterlingen gleich sieht. Da denn diese allegorische Gabe die anmuthigsten Scherze veranlaßt.

Was ich aber eigentlich zuerst von meinen weitgereisten Freunden erbitten wollte, war eine folgerechte Reiseroute mit beygefügten Datums. Erhielt ich diese, so würde ich mir die Freyheit nehmen, nach einzelnen Stationen und deren landschaftlichen Umgebungen, nach diesen und jenen Puncten, vielleicht nach der Witterung zu fragen, und dagegen treufreundlich vermelden, unter welchen Umständen, zu dieser oder jener Zeit, ich auch dorthin zu denken oder zu empfinden veranlaßt worden.

Der theure Freund erregt in seiner Nachschrift die allerliebsten Reiseträume und schließt sie mit einer wohlgesinnten Anfrage: was wohl nächsten Sommer meine Plane seyn möchten? Darauf habe ich freylich zu erwidern: Plane darf ich nicht mehr machen, sondern habe von Augenblick zu Augenblick, mit der größten Besonnenheit, zu beachten, was von außen[120] oder innen geboren wird. Die Ausgabe meiner Werke, die ich gewissenhaft behandle, legt mir eine schwere Pflicht auf; hiezu habe ich die Zeit, die mir vergönnt ist, sorgfältigst anzuwenden. Wahrscheinlich, wenigstens nach meinem Wunsche, bring ich einen Theil der Sommermonate wieder auf dem Land in der Nähe zu, wenn ich nicht zufällig nach außen gelockt werden sollte. Doch gebieten mir in meinen Jahren andere Winke, und das Willkürliche wird immer mehr von der Nothwendigen verdrängt.

Mögen, unter allen Umständen, meine Freunde mir gleich gesinnt bleiben, wie sie an mir und meiner Treue gewiß nicht zweifeln werden.

In diesen Stunden kamen denn die Süßigkeiten für die guten Enkel wohlgepackt und glücklich an; auch ist schon eine etwas lebhaftere Wahlverwandtschaft der guten Knaben gegen den stillen Großvater merklich; die Pfeffernüsse haben diese zarten Gefühle eingeleitet, die Brenten werden sie verstärken.

Doch wie die Blume nicht verdrießlich seyn darf, daß dem Schmetterling und der Biene bey dem Hof, den sie ihr machen, eigentlich nur um die Süßigkeit Ernst ist, die sie verheimlicht, so darf ich ja wohl auch der freundlichsten Gesichter genießen, welche diesen schön geformten und wohlschmeckenden Freundesgaben zunächst gemeynt sind. Vielmehr hab ich schönstens zu danken, daß mir in diesen trüben und noch immer allzu kurzen Tagen eine solche Anmuth gegönnt worden. [121] Tausend Grüße daher und alles Gute mit wiederholter Bitte vorerst um die einfache Reiseroute.

unwandelbar

Weimar den 12. Januar 1829.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Johann Jacob und Marianne von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7D1A-2