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An Johann Kaspar Lavater

Mit Verlangen erwart' ich die Fortsezung deiner Briefe über Wasern. Biss iezt sind nur die zwei ersten angekommen. Es geht mit dieser Sache wie mit allen wichtigen Begebenheiten, iedermann spricht davon und urtheilt drüber und niemand ist davon unterrichtet.

Lipsen erwarten wir. Du wirst wohl thun mir etwas von dem Plane zu schreiben, den du mit ihm hast, worauf er ausgeht und wohin er geht.

Mochels Urne hab' ich auch gelesen, oder vielmehr etlichemal hin und her geblättert, denn durchzulesen war ich's nicht im Stande. Dein Lob ist übertrieben.

Wie kannst du sagen: Vortreflich geschrieben? da der Verfasser weder Freiheit im Begriff noch im Stil hat, es sind Seiten wo die Perioden so in einander geknüttet sind, dass man sie etlichemal lesen muss um[251] zu rathen, was er will. Ich will nicht sagen dass es schlecht geschrieben, aber es ist doch so eng! und an den Hauptpunkten sind ihm die Gedanken wie weggeschnitten. Die Armseeligkeit sieht, wie einzelne Felsgen aus einem grossen See, hier aus der weitläuftigen Märte von Stuben-Experimental-Psychologie heraus dass man gar wohl schliessen kann, auf was vor einem Grund und Boden das Gewässer ruht. Kaufmannen hätte man noch weit treffender schinden können und was von dir und seinen übrigen Freunden gesagt ist lässt sich noch sehr halten, ich wollte allenfalls den Spargel schon tiefer aus der Erde herausgehoben haben, dieser Ehrenmann ist billig genug ihn nur so weit er grün ist und hervorgukt abzuschneiden.

Herder hat wieder einen Preiss in Berlin gewonnen, wie du wohl schon aus den Zeitungen wissen wirst. Ich hab die Abhandlung noch nicht gelesen. Es war zu gleicher Zeit in einem andern Fach einer aufgestellt den er auch hätte gewinnen können wenn er nur gewollt hätte.

Wieland ist gegen dich sehr gut gesinnt. Er hat seine Launen und bedenkt, sonderlich in Prosa nicht immer alles was er schreibt. Ich weis es zwar nicht, aber es ist möglich, dass dir zu Ohren gekommen ist, er habe in einer und der andern Stelle dich zu neken geschienen, es ist aber gewiss nichts als höchstens eine Art von humoristischem Leichtsinn, der sich dieses [252] und ienes ohne Consequenz erlaubt. Ich habe ihn geradezu selbst drüber gefragt und er hat mich versichert dass er sich keiner als guter Gesinnungen gegen dich bewusst seie.

Sein Oberon wird so lang Poesie Poesie, Gold Gold und Crystall Crystall bleiben wird als ein Meisterstük poetischer Kunst geliebt und bewundert werden.

Dass der alte Bodmer, der einen grossen Theil des zurükgelegten 18ten Jahrhunderts durchgedichtet hat, ohne Dichter zu sein, über eine solche Erscheinung wie der Schuhu über eine Fakel sich entsezt, will ich wohl glauben. Der arme Alte, der sich bei seinem ewigen Geschreibe, nicht Einmal durch den Beifall des Publici hat anerkannt gesehen, was doch weit geringern als ihm passirt ist, muss freilich bei allen solchen Produktionen einen unüberwindlichen Ekel empfinden. Ob Oberon dir etwas sein wird glaub ich nicht, davon ist aber auch die Rede nicht. Von Hirzeln hab' ich den zweiten Theil seines philosophischen Weltweisen nicht erhalten, sag ihm dass ich dadrüber betrübt bin, es ist aber eine Lüge, denn es ist mir scheuslich, was der Mensch von sich giebt.

Der Prophet der euch den Untergang drohet heißtZiehen, war Pfarrer zu Zellerfeldt auf dem Harz. Er ist vor kurzem gestorben. Die Erdbeben die er voraus gesagt hat sind eingetroffen. Was ich noch [253] von ihm gesehen habe daraus scheint mir ein tiefes Gefühl aber eine kurzsinnige, durch ausgebreitete Belesenheit nicht aufgeheiterte Combinationsart hervorzuscheinen. Er hängt alles an einander und citirt die Bibel wie die Evangelisten das alte Testament.

Grüs deine Frau und Kinder ich wünsche dir herzlich wieder ein bleibendes Geschöpf mehr ins Haus, und ihr Gesundheit und guten Muth zu Schwangerschafft.

Schicke die Zeichnung der Darrmaschine. Einandermal lass uns akkordiren eh wir bestellen. Ich dächte wir könnten das gelernt haben.

Grüs Bäben. Sie mag mir in die Composition von Kaysern auf meine Wasserstrophen schicken.

Lass dir Wasers Nachrichten angelegen seyn, auch eine Silhouette von ihm.

Knebeln gönnst du gewiss was du von Zeit entübrigen kannst.

Wären wir nur um l00 stunden näher. Schreibe mir offt dass man sich lebendig bleibt.

Passe ia auf die Dürers auf.

Die Cenci ist angekommen leider ein wenig verschoben, lass künftig die Packer aufmercksamer seyn. Die Kupfer meist verwischt. Auch an den Füslis. Wofür ich dir dancke. Lebe aber und abermal wohl, und lass uns einander stärcken im Edlen, und erhalten [254] im Licht, denn des lumpigen, und dämmrigen ist gar zu viel in der Welt.

d. 3 Juli 1780.

G.


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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1780. An Johann Kaspar Lavater. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7D72-B