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An Carl Friedrich Zelter

Um mich über die Zustände von 1802 aufzuklären durchsuchte ich meine Briefhefte jener Tage, und da fand ich von dir gar schöne, gute, freundlich-gründliche Worte, die sich denn immer noch bis auf die [10] letzte Zeit bewähren. Und so mochte denn auch die Prüfung der bedenklichen Wochen, die wir zusammen zugebracht, dem vieljährigen Gewebe noch einige tüchtige Spannen zufügen! Freud und Leid haben wir in diesen zwanzig Jahren einzeln und zusammen genugsam erlebt und erfahren und so war mir denn auch deine liebe Gegenwart in meinem peinlichen Zustand abermals höchst erquickend; ich fühlte es und weiß es, und es freut daß die andern es auch anerkennen, die niemals recht begreifen was ein Mensch dem andern seyn kann und ist.

Daß du mir die Mittheilung des Gedichtes durch innige Theilnahme so treulich wieder gabst war eigentlich nur eine Wiederholung dessen was du durch deine Compositionen mir so lange her verleihest; aber es war doch eigen daß du lesen und wieder lesen mochtest, mir durch dein gefühlvolles sanftes Organ mehrmals vernehmen ließest was mir in einem Grade lieb ist den ich mir selbst nicht gestehen mag, und was mir denn doch jetzt noch mehr angehört da ich fühle daß du dir's eigen gemacht hast. Ich darf es nicht aus Händen geben, aber lebten wir zusammen so müßtest du mir's so lange vorlesen und vorsingen bis du's auswendig könntest.

Das nachgesendete Reiseblatt wird, mit dem zu hoffenden, in den Codex reinlich eingeschrieben und das Ganze sodann übersendet; ich hab es theilweis mit Freunden gelesen, die es alle mit besonderm [11] Antheil aufnehmen, dir und den Deinigen wird es auch mit allen Segnungen zu Haus und Hof kommen.

Hier liegt auch ein Brief von meiner Mutter bey den du wünschtest; darin, wie in jeder ihrer Zeilen, spricht sich der Charakter einer Frau aus, die in alttestamentlicher Gottesfurcht, ein tüchtiges leben voll Zuversicht auf den unwandelbaren Volks- und Familiengott zubrachte und als sie sich ihren Tod selbst ankündigte, ihr Leichenbegängniß so pünctlich anordnete daß die Weinsorte und die Größe der Bretzeln, womit die Begleiter erquickt werden sollten, genau bestimmt war.

Nun aber bring ich in Erinnerung den Wunsch: das Nähere zu vernehmen über die Steigerung der Stimmen bey steigendem Barometer; nur gerade hingeschrieben, wie es dir einkommt, von dem einzelnen Falle vor meinem Geburtstage anzufangen, bis dahin wo die Feder zu laufen aufhört!

Ottilie wes't nun in Berlin und wird es von Stunde zu Stunde treiben bis sie von Zeit zu Zeit pausiren muß; vielleicht gibt ihr das erreichte Ziel, wieder durch's Brandenburger Thor eingefahren zu seyn, wenigstens einige Milderung der Hast ohne die man sie freylich kaum denken kann. Du thust ihr, weiß ich, alles zur Liebe; das Beste kann freylich nicht ohne Aufregung ihres aufgeregten Wesens geschehen.

[12] Ich aber muß mir selbst sagen: daß ich mich auch früher d.h. gleich nach meiner dießmaligen Rückkunft hätte schonen sollen und mich jetzt zu schonen habe; denn die große Erregbarkeit, die sich schon in Böhmen, wie du weißt, an der Musik manifestirte ist's doch eigentlich die mir Gefahr bringt; ob ich ihr gleich nicht feind seyn kann, da ich ihr denn doch eigentlich jenes Gedicht verdanke, an dem Gefühl und Einbildungskraft von Zeit zu Zeit sich so gern anfrischt.

Nächstens die zweyte Hälfte des mitgetheilten Heftes, das abgeschlossen und ein neues schon wieder angefangen ist. In Dingen der Naturwissenschaft kam von außen glücklich einiges meinen innern Bestrebungen entgegen, und ich hoffe zunächst manches Resultat noch auszusprechen auch verschiedene Capitel vor dießmal zu abschließen. Aber hiezu ist auch nötig sich von der närrisch bewegten wissenschaftlichen Welt auszuschließen. Die Masse der unzulänglichen Menschen die einwirken und ihre Richtigkeit an einander auferbauen ist gar zu groß; selbst mit bedeutenden ist's mitunter nicht ganz just, doch kann und muß man sich über alles trösten, da es am Ende doch auch ganz vortreffliche Menschen gibt, auf die man für jetzt und künftig seine Hoffnungen niederlegen mag.

Kennst du nachstehende Reimzeilen? Sie sind mir an's Herz gewachsen, du solltest sie wohl durch schmeichlende Töne wieder ablösen:


[13] Ja! Du bist wohl an Iris zu vergleichen,
Ein liebenswürdig Wunderzeichen:
So schmiegsam herrlich, bunt in Harmonie,
Und immer gleich und immer neu wie sie.

Allen guten Geistern empfolen.
Weimar d. 9ten [Januar] 1824.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1824. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7DF2-9