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An Adolf Heinrich Friedrichvon Schlichtegroll

Wohlgeborner
Insonders hochgeehrtester Herr!

Ew. Wohlgebornen freundliche Zuschrift sowohl als der beygeschlossene Brief einer verdienstvollen Künstlerin hat bey mir manche bedauerliche Betrachtung rege gemacht. Wie gern möchte ich das Gute, was sich auf unserm Theater nach und nach hervorgethan, besonders bey jetzt eintretenden hoffnungsvollen Zeiten, nicht allein erhalten, sondern auch weiter ausbreiten; das erste ist wohl möglich, weil sich gerade die Verdienste unserer Schauspieler in einem kleinen Kreise, unabhängig von einem großen Publicum entwickelt haben, und so fortentwickeln; das andere aber wird gerade durch die günstige Beschränktheit weniger thulich. Bey uns kann nur eine kleine Anzahl Talente neben einander bestehen; denn da wir nur dreymal in der Woche spielen, so ist für mehrere sich öfter zu beklagen, daß sie nicht genug beschäftigt sind.

[317] Besonders aber ist das Verhältniß, in welchem Ihre Künstlerin zu stehen wünscht, nicht wohl einzuleiten, indem, wenn man ihr auch Rollen zutheilen wollte, man bey ihrem Abgange sich in der doppelt unangenehmen Lage sähe, dieselben wieder erledigt, und die Schauspielerinnren, die darauf Anspruch machen könnten, übel disponirt zu finden. Von schon besetzten Rollen könnte ohnehin bey dem längern Aufenthalte eines so werthen gastes die Rede nicht seyn.

Alle diese Betrachtungen mache ich ungern, allein je mehr ich unsere Lage überdenke, je weniger weiß ich diese Zweifel zu beseitigen, ob mich gleich das große Zutrauen des jungen Frauenzimmers rühret und mich beschämen würde, wenn ich mir nicht bewußt wäre, mit aller Treue und festen Grundsätzen so viele Jahre dieser Anstalt unter mancherley Unbilden vorgestanden zu haben.

Die Übersendung des Vorstehenden ist leider sehr lange verzögert worden. Ich werde an meine Pflicht erinnert in dem Augenblick, da ich von Weimar scheide, um nach Frankfurt und Wiesbaden zu gehen. Wenn ich schließlich versichere, daß Freund Meyer noch ganz entzückt ist von seinem Münchner Aufenthalt, und daß ich durch seine Erzählungen in die größte Ungeduld versetzt worden, jene Freunde, Schätze und Anstalten selbst zu besuchen, so werden Sie mir gewiß Glauben beymessen. Ebenso bitte überzeugt [318] zu seyn, daß ich mich mit Untheil und vorzüglicher Hochachtung jederzeit Ihres frühern Wohlwollens erinnere und dessen Fortsetzung aufrichtig wünsche.

ergebenst

Weimar den 24. July 1814.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Adolf Heinrich Friedrichvon Schlichtegroll. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7EF6-A