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An Johann Jacob und Marianne von Willemer

Vor allen Dingen also mögen meine geliebten Freunde die Geschichte vergangener Monate geneigt aufnehmen. Sonntag den 23. April verließ ich Jena, bey dem schönsten Wetter, welches mich auf der ganzen [189] Reise begleitete. Über Hof ging sie, über Wunsiedel und Alexandersbad, von da auf Eger, sodann besucht ich Marienbad und gelangte am siebenten Tage nach Carlsbad. Luft und Anblick so vieler Bäder hätte schon Heilung bewirken sollen. Nicht ganz ohne Gefährten legt ich diesen Weg zurück: denn mich begleitete ein liebenswürdiger brauner Geselle, dem nur weniges abzugehen schien, um ganz und gar vollkommen zu seyn. In Carlsbad verlebt ich einen schönen May, ziemlich einsam, aber eben deshalb vielfach thätig und fleißig; und so bin ich denn seit Anfang Juni wieder hier, ohne mich vom Platze zu bewegen; fleißig wird gedruckt, und vielleicht ist in einem Hefte, welches nächstens aufwarten wird, auch etwas den Freunden gefällig und erfreulich.

Manche Besuche auswärtiger Freunde verkürzten mehr als billig die Zeit, zuletzt erschienen, kaum angemeldet, Berliner kunstreiche junge Männer, welche meine Büste in doppelter Nachbildung mit fortnahmen. Und so kam der 28. heran, bey dessen frühstem Tagesgruß mir die liebliche Musik vom Mayn her wieder in die Ohren schallte und die sämmtlichen Freuden dem Gefühl und der Einbildungskraft wieder vorführte, wie sie Orient und Occident verbunden wohl selten einem Freundescirkel gewähren möchte.

Dem wohlgemeinten Feste, welches die Universität mir zugedacht, konnt ich mich nicht entziehen, und so ist denn dieser Tag lebhaft genug, mit Angebinde [190] und Gastmahl hingegangen; auch der Nacht gebrach es nicht an Musik und Fackelschein. Nun aber ist das gute Jena und ich mit ihm wieder in seinen stillen Zustand zurückgekehrt.

Wie mich in demselbigen die, zwar eigensinnig-neckisch genug verclausulirte, meinem Hellblick aber und magnetischer Schaukraft offenbare liebenswürdige Gabe höchlich erfreut, davon mögen diese Berge und Thäler, Gärten, Alleen, Wiesen und Pflanzungen ein Zeugniß geben. Ich schildere wirklich, obgleich nur im Vorübergehen, die Anmuth meiner Wohnung, die ich gegenwärtig im botanischen Garten aufgeschlagen; auf dem höchsten Puncte der Vorstadt, einen lieblichen sanften Abhang diesseits, einen bergigen Anstieg jenseits der Saale beherrschend. Freylich ist es eine Enge gegen den weiten herrlichen Horizont, dessen meine Freunde genießen; aber dem Geschäft gerade zusagend, dem ich mich eigentlich zu widmen habe.

Wenn ich nun nach außen eines ganz frohen Anblicks mich erfreue, so gewährt mir inwärts die Beschauung des neuangekommenen Amulets tagtäglich neue Ermunterung und Ermuthigung, wie denn das doppel S. S. den Augen besonders erquicklich seyn mag.

Eine Bemerkung jedoch kann ich, als akademischer Bewohner, hiebey nicht unterlassen; die Frankfurter Juweliere müssen von der Theorie des Doctor Hahnemann in Leipzig, eines freylich jetzt in der ganzen Welt berühmten Arztes berühmten Arztes vernommen und sich das [191] Beste davon zugeeignet haben. Dieser lehret nämlich: daß der millionste Theil einer angedeuteten, kräftigen Arzeney gerade die vollkommenste Wirkung hervorbringe und jeden Menschen zur höchsten Gesundheit sogleich wieder herstelle. Nach diesem Grundsatz haben jene Goldkünstler bey der Behandlung des Mittel-Juwels verfahren und ich glaube jetzt eifriger als je an die Lehre des wundersamen Arztes, seitdem ich die Wirkung einer allerkleinsten Gabe so lebhaft gefühlt und immer wieder empfinde. Wundersam genug ist es, wie sich eine von der Welt bisher so sehr angefochtene Lehre, durch ein auffallendes Beyspiel aus einem ganz fremden Felde, legitimirt und bekräftigt. Möge dem Fürsten Schwarzenberg, welcher sich einer solchen Cur wegen jetzt in Leipzig aufhält, es eben so gedeihen als mir, so wird es jenem Arzt an Ruhm und Lohn keineswegs gebrechen.

Und da nun dieses Blatt zu Ende geht, so sey ein neues angefangen, welches zu rechter Zeit in die Hände der Freunde gelangen möge, damit nicht, wie bisher, unerträgliche Pausen die Mittheilung unfreundlich unterbrechen. Wenn es eine Zeit zu schweigen gab, so gebe es auch eine Zeit zu reden und zu schreiben.

treulichst

Jena den 2. September 1820.

Goethe. [192]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An Johann Jacob und Marianne von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7FDF-7