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An Carl Friedrich Zelter

Ich soll dir Herrn Chelard, Maître de la Chapelle de S. M. le Roi de Baviére, ankündigen und empfehlen. [288] Diese Wünsche bringt er mir von Weimar, wohin er gute Empfehlungsbriefe mitgebracht hat. An seinen Werken wirst du ihn erkennen. Mir ist sein Zustand nicht ganz deutlich; er hat in Paris eine Oper: Macbeth geschrieben, wodurch er sich wahrscheinlich eine neue Bahn eröffnen wollte; mir scheint daß man sie dort gar nicht zur Aufführung kommen ließ, wenigstens hab ich nichts davon in den Pariser Blättern gelesen. Genug, entweder sie ward abgelehnt oder mißfiel; er nahm seine Partitur und ging nach Deutschland, kam nach München, wo deutscher Text untergelegt und das Werk mit großem Beyfall aufgeführt wurde; der König gab ihm obgemeldeten Titel.

Nun geht er nach Berlin, wahrscheinlich um dort gleichfalls eine Aufführung zu unterhandeln, wo möglich den erworbenen guten Namen zu verdoppeln und seinen Ruf im Vaterlande zu rehabilitiren. Übrigens mag er sich auch wohl nach andern Vortheilen der deutschen Musik umschauen, zu Förderung eigener Zwecke. Dieß alles wirst du bald durch und durch sehen, beurtheilen und nach Befund ihn zu fördern belieben.

Deine unter dem 23. Juni Empfohlenen sind nicht bis zu mir gekommen, sie haben mir dein Schreiben von Dresden zugeschickt und sind wohl längst schon wieder in Berlin, wegen Erkrankung eines Reisegefährten.

Von allem was gegen mich geschieht keine Notiz zu nehmen, wird mir im Alter wie in der Jugend [289] erlaubt seyn. Ich habe Breite genug, mich in der Welt zu bewegen, und es darf mich nicht kümmern, ob sich irgend einer da oder dort in den Weg stellt den ich einmal gegangen bin.

Hegels Bildniß habe ich noch nicht gesehen, man hat versäumt, mir einige Kistchen von Weimar herzuschicken; in einem derselben mag es wohl befindlich seyn. Daß das meinige von Stieler euch wohlgefallen würde, daran hatte ich keinen Zweifel; der wackere Künstler schrieb deshalb an meinen Sohn; er selbst hat euch wohl auch behagt. Es ist in ihm Natur und Wahrheit und auf glücklichem Wege ausgebildete Kunst.

Ich bin noch auf dem alten Dornburg, vorzüglich mit botanischen Betrachtungen beschäftigt. Ein reich ausgestatteter Blumengarten, vollhängende Weingeländer sind mir überall zur Seite, und da thut sich denn die alte wohlfundirte Liebschaft wieder hervor. Gründliche Gedanken sind ein Schatz der im Stillen wächs't und Interessen zu Interessen schlägt; daran zehr ich denn auch gegenwärtig, ohne den kleinsten Theil aufzehren zu können. Denn das echte Lebendige wächs't nach, wie das Bösartige der Hydernköpfe auch nicht zu tilgen ist.

Unsere jungen Herrschaften sind in die Bäder; die Frau Großherzogin Mutter kommt diese Tage erst nach Weimar zurück. Jede Spur von Feyerlichkeit, dem 28. August zugedacht, habe verbeten und verboten. Der 3. September wird wie sonst durch unsre Kunstausstellung gefeyert. Nachher denk ich gleichfalls auf [290] meinen Rückzug und um desto getroster, weil vorerst alles von oben nach unten im herkömmlichen Gang bleibt und also ein jeder Getreuer den von dem würdigen Abgeschiedenen vorgezeichneten Pfad verfolgen kann. Auch ich habe mich besonders jeder Theilnahme und Förderniß zu loben.

Du aber solltest dich auch, mein Theuerster, hübsch wacker auf den Füßen halten und eure Naturfurrogate, die chemischen Gewässer, sollten sich heilsamer beweisen. Melde bald wie dir es geht.

Magst du einige Noten an beyliegende Strophen verwenden, so wird mich's freuen, sie neubelebt zurückzunehmen.

Leider aber muß ich noch einmal von der wüsten Witterung sprechen; der wilde Sturm und Regenguß, in dem ich am 20. Juli Abends herfuhr, hat in demselbigen Augenblicke von Havre de Grace und Nantes über Lyon und Weimar bis Wien gewüthet, und wer weiß wieviel weiter ostwärts. Gleich den andern Tag hat's euch getroffen und so ist es bey euch und uns abwechselnd immer fortgegangen, und ich würde ganz verzweifeln, wenn mich nicht die Eitelkeit, das alles vorausgesagt zu haben, einigermaßen erquickte. Noch darf ich vom Nächsten nichts Gutes hoffen! Das Unglück ist, daß ein hoher Barometerstand zwar für den Augenblick dem Regen gebieten, aber die Atmosphäre weder von Wolken reinigen noch den Westwind beherrschen kann; da denn im Momente des Sinkens[291] Sturm und Regen in Fülle und Gewalt unaufhaltsam hereinschreitet. Nimm die Art wie ich mich ausdrücke freundlich auf, denn so vernimmst du wie ich mit mir selber spreche. Die Witterungskundigen vom Handwerk bedienen sich hiebey wohl anderer Worte.

Du bist ein Freund vom Altgesetzlichen; ich will's einmal für mich aufschreiben, wie ich mir die Sache denke; diese Dinge sind nur deswegen allzu groß für uns, weil wir sie immer nur im Kleinen suchen. Und so fortan in Ehrfurcht der allwaltenden Mächte.

Der gekannte
Dornburg den 26. August 1828.
G.

Dem aufgehenden Vollmonde.
Dornburg August 1828.

Willst du mich sogleich verlassen!
Warst im Augenblick so nah!
Dich umfinstern Wolken-Massen
Und nun bist du gar nicht da.
Doch du fühlst wie ich betrübt bin,
Blickt dein Rand herauf als* Stern!
Zeugest mir daß ich geliebt bin,
Sey das Liebchen noch so fern.
So heran denn! hell und heller,
Reiner Bahn in voller Pracht!
Schlägt mein Herz auch schmerzlich schneller,
Überselig ist die Nacht.

* [darüber: ein]
[292]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8028-B