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An Christian Gottfried Daniel Neesvon Esenbeck

Ew. Hochwohlgeboren

reiche Sendung gab mir einen sehr angenehmen Anblick und belehrende Unterhaltung. Was die Weimarischen Kunstfreunde zu der im Ganzen wohlgerathenen Tafel zu sagen haben enthält beyliegendes Blättchen; ich freute mich wirklich die uralten und für mich gewissermaßen veralteten, obgleich zu jener Zeit mit Fleiß, Mühe und Aufopferung gefertigten Zeichnungen nunmehr so nahe an wissenschaftlicher Benutzung zu sehen. Dabey aber fühlte ich mich nicht ohne eine gewisse schmerzliche Verlegenheit, daß ich so tiefinteressanten Gegenständen eigentlich ein Fremder geworden sey.

Sie wünschen daß ich einige Worte über diese Tafeln äußere, mir fehlt aber auch das leiseste, denn ich sehe daran nur ein allzukühnes Bestreben dasjenige vollbringen zu wollen das mir, wie ein sisyphischer Stein, immer wieder zurückrutschte; eine Last die ich jetzt durch andere glücklich auf den höchsten Gipfel gewälzt sehe.

Was über diese Blätter wissenschaftlich zu sagen wäre steht alles in den Heften zur Morphologie; sie schreiben sich von einer Zeit her wo mein Hauptbestreben war den osteologischen Typus der höhern Thierklassen auszubilden, daher meine Aufmerksamkeit [37] auf jüngere Geschöpfe, bey welchen die Suturen nicht verwachsen sind. Außer diesem allgemeinen Interesse fand sich noch das besondere: das Verhältniß des Eckzahns zu der oberen Kinnlade und dem Zwischenknochen genauer auszumitteln. Dazu benutzte ich die Beschauung des Schädels selbst und die darnnach gefertigten saubern Zeichnungen.

Mehr wüßt ich nicht zu sagen; möchte aber Herr d'Alton, der alle Bezüge gegenwärtig hat, diese Darstellungen deren er sich früher angenommen mit Neigung anblicken, so wird er sie gewiß dem wissenschaftlichen Publicum mit wenigen Meisterzügen empfehlen können.

Auch hierüber hofft ich mich mit ihm ausführlicher zu besprechen und auch um deswillen schmerzt mich's daß er bey mir nicht anklopfen mögen. Seine köstlichen Hefte wären mir eigener geworden, denn eine mündliche Unterhaltung von Stunden vergleicht sich ja mit der tausendfachen Zeit einer Mittheilung aus der Ferne.

Schon hatte ich mit meinem Sohn deutliche Musterstücke aller fossilen Knochen unsere Tuffbrüche zusammengelegt, schon freute ich mich das ganze Skelett des Urstiers durch ein Gutachten erhellt zu sehen und über so manche Zweifel und Anstöße schnell hinaus gehoben zu werden. Diese Hoffnung ward zu nichte und ich fiel in die böhmische Geognosie zurück aus der mich gegenwärtig nicht herauswickeln kann.

[38] Denn es ist eine eigene Sache: das Alter hat mehr Rücksichten zu nehmen als man denkt; man geht nicht schnell mehr ungestraft von einem Interesse zum andern über, Zerstreuung ist der Thätigkeit gefährlicher und wenn man noch gar, wie mir es den November entlang begegnete, sich durch körperliche Übel durchhalten und durchschlagen muß, so bemerkt man nur allzusehr daß die äußere Welt noch eben so viel ja mehr verlangt als wir hätten leisten können da noch unsere Geistes- und Körperkräfte völlig zusammen wirkten.

Verzeihen Sie dieser Litaney, Sie sähen freylich mit Recht viel lieber einen mäßigen Aufsatz zu Erläuterung der Platten, aber gerade das Bestreben Ihren Wunsch zu erfüllen bringt mich auf solche Betrachtungen die Sie freundlich aufnehmen werden. Sollte Herr d'Alton sich nicht entschließen die Tafeln zu commentiren, da ihm denn doch hundert Betrachtungen zu Gebote stehen, so finden Sie ja wohl einige gute Worte der Entschuldigung und des Ajournirens. Kann ich meine Bächlein wieder in diese Thäler leiten so soll auch sehr gern von meiner Seite was Sie wünschen geschehen. Jetzt darf ich mich von dem wissenschaftlichen Hefte nicht entfernen.

Grüßen Sie Herrn d'Alton vielmals, sein Außenbleiben hat vieles auf dem Strande gelassen was flott werden sollte.

Das colossale cryptogamische Geschöpf verdient allerdings neben der ungeheuren Rafflesia zu stehen,[39] ich danke bestens für die baldige Mittheilung Ihnen und Ihrem Herrn Bruder. Was doch kräftige Lebenskeime, gefördert durch Feuchtigkeit und Hitze für wunderliche Gesichter schneiden.

Wenn man solche Geschöpfe betrachtet so glaubt man die Natur in dem Augenblick zu erhaschen wo sie das Riesenfaulthier hervorbringt.

Nun liegt mir aber gar das zweyte Heft der Histographie Heusingers schon einige Tage zur Hand und ich sehe wie bequem es die Natur hat, aus lebendig-unförmlichem Schleim sich ein ewig umzubildendes Gewebe zu bilden, und in Gefolg dessen sich weich und starr pp., düster und heiter pp., häßlich und schön pp. nachdringenden Umständen und eigenwilligem Belieben zu maskiren. Verzeihen Sie diesen Tropus den Redoutentagen wo man mich aus alter Gewohnheit und Vorurtheil noch immer in Anspruch nimmt.

theilnehmend und vertrauend

Weimar d. 29. Jan. 1824.

Goethe.


Über die Nachbildungen der osteologischen Zeichnungen in Kupfer läßt sich aus der Ferne wenig Förderliches vermelden; legt man die Lipsischen daneben, so sieht man daß diese an Kraft, Charakter, Deutlichkeit, Haltung den Vorzug haben; doch sind die neuen gleichfalls verdienstlich, mit Aufmerksamkeit und Sorgfalt gearbeitet und wohl zu den vorseyenden [40] Zwecke genugsam geeignet. Wollte man aussprechen was daran zu wünschen übrig bleibt, so würde man große Verwirrung anrichten, weil hier nicht von Unrichtigkeiten die zu corrigiren sind die Rede seyn kann, sondern nur von dem was zu vollkommener Darstellung zu wünschen wäre. Und dieses würde, wie die Sache jetzt liegt, kaum in der Gegenwart zu bewirken seyn.

Indem ich dieses alles nun durchdacht und niederschreiben lassen; so wird mir nur zu lebendig daß ich gar zu gern Ihnen jederzeit nach Wunsch und Liebe thun möchte und also auch dießmal; da geht mir denn der Gedanke bey: ich wolle Ihnen die zweyte Lipsische Kupferplatte, die Sie schon kennen und wovon ein Abdruck beyliegt, gleichfalls zuschicken, die Sie vielleicht in einem folgenden Stücke brauchen möchten. Da sich diese nun ganz allein auf's os intermaxillare bezieht, so könnte vielleicht dießmal bey Vorlegung des Elephantenschädels, demgemäß was ich auf vorstehenden Blättern gesagt habe, einiges geäußert und auf die Folge hingewiesen werden. Es findet sich indeß Zeit und Stimmung über die Tafeln etwas zu sagen, welches Geschäft ich in meines guten Willens Verzeihung allen diesen Hin- und Wiederreden! Ich bin wirklich in Bezug auf geistige und körperliche Kräfte mehr als billig gedrängt, fast bedrängt möcht ich sagen.

[41] Und doch noch meinen besten Dank an Herrn Professor Näke schließlich auszusprechen lege ein heutiges Programm bey, welches unsern wackern Professor Riemer zum Verfasser hat.

Theilnahme wünschend

und hegend

Weimar den 2. Februar 1824.

Goethe.


Da die geschlossene Rolle auf die morgende fahrende Post wartet, füge noch einiges hinzu.

Es ist mir sehr angenehm daß Eckermanns Büchlein einen guten Eindruck auf sie macht, er ist jetzt hier zu unser beider Gewinn. Seine Neigung zu meinen Arbeiten und die Übereinstimmung mit meinem Wesen überhaupt trägt mir schöne Früchte, indem er mir, zu einer neuen Ausgabe, ältere vorliegende Papiere sichtet, ordnet und redigirt, wozu ich wohl nie mals gekommen wäre. Ihn interessirt was für mich kein Interesse mehr hat. Eine freye Übersicht und ein glücklicher Tact qualificiren ihn zu dem Geschäft das ihm zugleich Freude macht. Sollte ich ihn nächsten Sommer zur Erheiterung an den Rhein senden so nehmen Sie ihn gewiß gut auf auch ohne mein Ersuchen.

Nun aber will ich zum Schluß meinen Wunsch Gestein vom Drachenfels zu erhalten nochmals aussprechen. Mögen Sie ihn wohl gelegentlich erfüllen, ich kann dadurch meine nordöstlichen Freunde gar sehr verbinden.

[42] Nächstens erfolgt ein Exemplar Kunst und Alterthum, IV. Bandes 3. Stück, wozu Eckermann das Inhalts-Verzeichniß aller vier Bände geliefert und dadurch eine recht hübsche Übersicht des Unternommenen und Geleisteten gegeben hat.

wie oben und immer

Weimar den 4. Februar 1824.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1824. An Christian Gottfried Daniel Neesvon Esenbeck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-805E-2