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An Wilhelm von Humboldt

[Concept.]

Ihr werthes Schreiben, theurer verehrter Freund, ob es mich schon zu einem schmerzlichen Antheil aufrief, [181] war mir doch höchst willkommen, indem es mich des wünschenswerthesten Antheils und fortdauernden herzlichen Zutrauens versicherte. Mir aber werden Sie nach so vieljährigen Verhältnissen auch ohne Betheurung glauben, daß mein Andenken immer lebhaft und das Aufhorchen auch aus der Ferne immer thätig sey, im Stillen hie und da zu vernehmen, wie es denjenigen ergehe, die ich nicht anders als an und in mein Leben gegliedert betrachten kann. Den gefährlichen Zustand Ihrer Frau Gemahlin hab ich schon seit einiger Zeit vernommen. Auch dieser hab ich ja unter meinen frühsten Verhältnissen zu gedenken, und erinnere mich noch recht gut der Zeit, wo ich in Erfurt das Gedicht: die Geheimnisse, kaum als es geschrieben war, in ihrer Gegenwart vorlas und großen Antheil erweckte; wie ich denn auch des Malteserritters oft gedenken muß, der sich nach ihr so eifrig in Palermo erkundigte. Möge derselben nach meinem Wunsche noch manche gute Stunde gegönnt seyn.

Bey dem stillen Lebenswandel, den ich gegenwärtig führe, ist meine Beschäftigung gleichsam nur testamentarisch. Das Original meiner Werke dergestalt zuzurichten, daß die vierzig Bände auf jeden Fall, auch ohne mein Zuthun abgedruckt werden können, ist gegenwärtig meine nächste Sorge. Ist nun dieses zunächst abgethan, so hat sich so viel gehäuft, das auch redigirt und zurechte gestellt seyn will, daß ich eigentlich auf mehr Jahre als billig Arbeit vor mir[182] sehe und nur immer daran zu denken habe, wie ich jeden Tag das Nöthigste vorwärts schiebe und beseitige.

Sodann findet mich die Beylage Ihres werthen Schreibens mit ähnlichen Gedanken beschäftigt; ich habe sie mit großem Vergnügen gelesen und wüßte durchaus nichts, was meiner Denkart über diese Angelegenheit im mindesten widerspräche. Die Absicht ist höchst löblich, das Unternehmen war, bey dem Zustand unsrer Kunst- und Künstlerwelt, nothwendig und unerläßlich. Wir bilden Künstler, Künstler bilden sich ohne unser Zuthun, und wo sollen die Käufer aller Arbeiten herkommen. Actien auf gut Glück, Verlosung mit unwahrscheinlichem Gewinn, Belohnung durch den Gedanken, etwas Gutes gestiftet zu haben, und was dergleichen mehr ist, mußten eingeleitet und durch einflußreiche Männer gefördert werden.

Wir in unserm kleinen Kreise fühlten schon längst die Unzulänglichkeit unserer Mittel, deswegen haben wir uns voriges Jahr an den Dresdner Verein angeschlossen und sind mit etwa vierzig Actien zu demselben getreten. Bey Verhandlung hierüber kam zur Sprache, ob ein Verhältniß zu dem Berliner nicht vorzuziehen sey, welchen Vorschlag aber die von ihren Statuten ausgesprochene Ausschließung der Fremden nicht begünstigte. Dieß gibt mir schon die Überzeugung, daß Ihr Vorschlag sehr der richtige sey: hierin jede Beschränkung aufzuheben. Ohne diese [183] hätten Sie sich wahrscheinlich zum Mittelpunct der bildenden Kunst vom nördlichen Deutschland gemacht; denn es scheint, daß die übrigen Zweige des sächsischen Hauses, nach unserm Beyspiel, sich an den Dresdner Verein anzuschließen, zunächst folgen werden.

Es ist eigen, daß die Düsseldorfer Schule, von einem Berliner Künstler angeführt, sich so bedeutend hervorthut. Am Rhein und in den niederländischen Gegenden bleibt eine gewisse heitere Sinnlichkeit durchaus lebendig; die gesunde derbe Natur, die sich im siebzehnten Jahrhundert dort so unvergleichlich hervorthat, waltet noch fort; und es ist zu wünschen, daß die Unsrigen sich an diesem Beyspiel und Vorgang ermannen und von ihren frömmlenden Ritterlichkeiten erholen mögen.

Über die Angelegenheiten der Vereine, um hievon noch einiges zu sprechen, hab ich zeither Gelegenheit gehabt, vielfach nachzudenken und werde mich auch wohl hierüber in dem nächsten Stück Kunst und Alterthum zu erklären suchen. Gar manches hierauf bezüglich steht fest, und man wird wohlthun dabey zu beharren; manches jedoch ist problematisch, hängt auch wohl von Zeit und Umständen ab. Hierüber möcht es wohl Pflicht seyn, Erfahrungen und Überzeugungen mitzutheilen.

Die herrlichen Früchte, die wir von Ihres Herrn Bruders Reise zu erwarten haben, wünschte an meinem Theil auch dankbar hinzunehmen. Da ich ihn mit [184] meinen Gedanken überall hin begleite, so empfehle ich mich ihm zu schönsten, mit dem Wunsch, er möge meiner bey interessanten Gegenständen, in bedeutenden Augenblicken als eines wahrhaft Theilnehmenden bestens gedenken.

Aufrichtig zu sagen, so möcht ich jetzt, indem ich schließen will, von vorn anfangen, da mir so unendlich vieles im Sinne liegt was ich mittheilen möchte; wie denn auch das schon Ausgesprochene weiter ausgeführt werden könnte. Den eifrigen Wunsch will ich jedoch hinzufügen, daß die Tage, die wir noch zusammen auf Erden zu verleben haben, von erträglichen Leiden und mäßigem Genuß mögen begleitet seyn; so wie an treuen wechslseitigen Gesinnungen gewiß niemals ein Mangel seyn wird.

Weimar den 1. März 1829.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Wilhelm von Humboldt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-820A-0