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An Friedrich August Wolf

Jena den 31. August 1806.

Da es oft so große Pausen der brieflichen Unterhaltung geben kann, so will ich geschwind auf ihr werthes Schreiben vom 28. August aus meiner Jenaischen Muße einiges erwiedern. Ich würde mich hier noch länger aufhalten, wenn ich nicht in einigen Tagen, um des von Ihnen so sehr verschmähten Theaters willen, nach Weimar müßte. Ein paar Fahrten hätten Sie wohl, verehrten Freund, zur Aufmunterung dieser guten Leute thun können, welche nun sämmtlich die Flügel hängen, und sich noch für viel moderner halten, als sie vielleicht sind, weil der große Alterthumsforscher mit ihnen nichts zu thun haben will.

[186] Von wenig Personen, aber von manchen neuen und wunderlichen Büchern bin ich in meinem hiesigen Malepartus heimgesucht worden; unter andern trat, wie ein Sirius unter den kleinen Gestirnen, Herr Steffens hervor und funkelte mit cometenartigen Strahlen. Von seinem Buche habe ich freylich schon früher einige Blätter wehen und rauschen hören, als ich hinter der bewußten Thüre horschend saß. Mag's aber seyn, daß der Dreyfuß, auf welchem er sich damals nieder gelassen hatte, ihm etwas mehr Klarheit einflößte, oder daß man dem persönlichen Individuum seine Individualität eher verzeiht, als wenn sie in ein Buch gekrochen ist, oder daß dergleichen heilige Laute unter der Hand des Setzers gar nicht erstarren sollte; genug das Büchlein hat zwar an seiner Vorrede einen honigfüßen Rand, an seinem Inhalte aber würgen wir andere Laien gewaltig. Gebe nur Gott, daß es hinterdrein wohl bekomme. Vielleicht geht es damit, wie mit den Brunnenkuren, an denen die Nachkur das beste seyn soll, d.h. doch wohl, daß man sich dann erst wieder gesund befindet, wenn man sie völlig aus dem Leibe hat.

Sonst wüßt' ich von allerley kleinen Acquisitionen zu erzählen; aber das Steinreich, das man durch's Evangelium der äußern Kennzeichen so glücklich auf der Briefpost mittheilen kann, interessirt Sie nicht, und das Kunstgebilde läßt sich leider nicht wörtlich mittheilen. Eine schöne gleichzeitige Medaille auf[187] Ariost habe ich erhalten. Er zeigt eine sehr schöne, freye und glückliche Bildung. Wie zart, ja man möchte sagen, wie schwach er aber ist, sieht man nicht eher, als bis man ihm einen Tyrannen gegenüberlegt. Zufällig fand er sich in meinem Kästchen neben einem Domitian, und die über eine Kluft von mehreren Jahrhunderten.

Für alles Freundliche, was Sie den Meinigen er zeigt haben, danke ich zum schönsten. Würde die Zeit vor Winters nicht so knapp, so wäre ich gewiß gekommen, Sie zu besuchen; aber ich sehe im ganzen September wenig Ruhe vor mir. Es will manches Vergangene nachgebracht und gar manches eingerichtet seyn. Das beste Wohlergehen Ihnen und dem lieben Minchen und was Ihnen sonst zunächst wohnt. Mögen doch die militarischen Bewegungen uns durch ihre Abdeutung hinreichende Sicherheit geben. Bis jetzt wenigstens scheint es, daß der Norden politisch erstarren und nicht in die südliche Lava mit einschmelzen werde. Ein vielfaches Lebewohl.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1806. An Friedrich August Wolf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8329-4