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An Johann Heinrich Merck

Weimar, den 11. Oct. 1780.

Deinen Brief habe ich auf einer kleinen Reise erhalten, die der Herzog nach einigen Ämtern, die er gegen Franken oder vielmehr in Franken besitzt, gethan hat. Bäty treibt seit einem halben Jahre dort seine Anstalten und ich habe mit dem größten Vergnügen auch endlich einmal etwas gethan gesehen und eine befohlne Einrichtung ordentlicher, geschwinder und ausführlicher vollbracht, als es das gnädigste Rescript nicht besagen konnte. Dieses Wunder hat bei dem Herzog auch große Freude erregt. Was er gemacht hat, sind eigentlich Abzugsgräben und Wässerungen. Er hat sie mit einem solchen Verstand nach der Sage und Gelegenheit einer jeden Wiese, nach so [306] richtigen Grundsätzen und mit so schicklichen und nöthigen Abänderungen an jedem Orte ausgeführt, daß man in einem Bezirk von wenigen Meilen sich eine gar schöne Kenntniß dieses ganzen Wesens erwerben kann. Es ist in Allem ein Mensch, wie es sehr wenige gibt, und wir bleiben dir immer für die Acquisition verbunden. Er weiß nicht allein seine Anlagen auf das pünktlichste zu bestimmen, sondern auch mit den Menschen so gut umzuspringen, daß Alles geschwind und leicht vor sich geht. So lang er im Dienst ist, hat er noch über Niemand geklagt und Niemand über ihn. Er steht sich so ziemlich. Außer seinen 300 Rthlrn. hat er bei seiner jetzigen Abwesenheit Quartier und Essen frei, welches die Gemeinden tragen, wo er sich aufhält. Ich will auch noch sonst für ihn sorgen. Er wird auch gar honnorable behandelt, und hat eine große Freude an seiner eignen Sache. Es widersetzt sich kein Mensch, das auszuführen, was er angibt, weil meistentheils die Leute gleich das Schickliche und Nützliche davon erkennen mögen. Besonders erlebte er einen großen Triumph, daß eine seiner Anlagen so ein großes Aufsehen machte, daß des Nachts Würzburgische Unterthanen herüber kamen, die Gräben heimlich zu messen, und seine Art abzulernen. Ich will ihn veranlassen, daß er dir einmal selbst schreibt, in seiner Sprache nimmt sich Alles besser aus.

Mit den Mennoniten sind wir nun auch einig [307] geworden. Es sind Juden und Schelmen, so gut als andre, sonst mögen sie in ihrer Sache vortrefflich seyn.

Wenn sie's auch nicht mit dem Herzog zu thun gehabt hätten, wäre doch vielleicht nichts draus geworden. Die Kammer wollt nicht gern herunter und doch wars dem Kammerpräsidenten bange, weil er merkte, daß der Herr darauf versessen war und schickte sie uns in die Zilbach auf den Hals. Bäty verschwendete vergebens seine Beredtsamkeit, und wenn ichs recht sagen soll, so hatte der Herzog, da wir sie zuletzt zu ihm brachten, unsere Gesinnungen verhört und, weil große Herrn mit Zahlen nicht umzugehen wissen, ihnen wirklich vom Pachtquantum zu viel erlassen. Inzwischen ist die ganze Sache eine Kleinigkeit und an dem Gute, wenn sie's wieder herstellen, hat man doch immer den Vortheil.

In Meinungen haben wir eine Menge Kunst- und andere Sachen von Herzog Anton Ulrichen her, in gehöriger Erbschaftsconfusion gefunden. Der Herzog konnte nicht ruhen, bis er ihnen vier Gemählde abgehandelt hatte. 3 Ruysdaele, wovon einer von seiner höchsten Zeit ist. Ein ganz fertiges Kunstwert, komponirt und wie es in einen Rahm gehört und jeden Pinselstrich und jedes Tupfchen doch mit dem nächsten, wahrsten Naturgefühl. Die zwei andern sind auch immer von ihm, obgleich weniger. Ferner ein Gesellschaftsstück von le Ducq, gemahlt, was man mahlen kann. Ich habe bei der Gelegenheit auch einige vortreffliche [308] Zeichnungen erwischt. Unter andern eine, aber leider höchst beschädigte von Callot nach Andreas del Sarto mit braunem Bister auf weiß Papier, wie's ein altes hinten aufgeklebtes Zettelchen, das zugleich den Preiß auf zwanzig Thaler angibt. Drei Schafgruppen auf einem halben Foliobogen, Studium von Heinrich Roos ganz vortrefflich. Es sind keine natürliche Schafe, sondern es ist, als wenn ein Gott nachdem er sie gemacht hat, zu ihnen sagte: sie sind gut, und an der Ruhe, an der thierischen Zufriedenheit, die er in sie gelegt, sich selbst ergötzte.

Sei doch so gut und schreib mir, wie man es am gescheutsten macht, eine Kupferstichsammlung zu rangiren.

Die Anfrage ist etwas weitläufig, doch kannst du mir mit Wenigem einige Anleitung geben. Besonders zeige die Bücher an, die man zu Rathe ziehen kann, besonders ob von einzelnen Meistern Catalogi und wo sie zu finden sind, wie Gersaint von Rembrand und Hüsgen von Dürern. Es ist dies ein Auftrag, den mir der Herzog gegeben hat, und an dem ihm viel gelegen ist.

Wegen deines Raphaelischen Werks will ich's nächstens ausmachen.

Nun muß ich dir noch von meinen mineralogischen Untersuchungen einige Nachricht geben. Ich habe mich diesen Wissenschaften, da mich mein Amt dazu berechtigt, mit einer völligen Leidenschaft ergeben und habe, [309] da du das Anzügliche davon selbst kennst, eine sehr große Freude daran. Ein junger Mensch, der auf der Freiberger Akademie studirt und von daher eine außerordentlich reine Nomenclatur und eine ausgebreitete Kenntniß des Details mitgebracht hat, ist mir vom größten Nutzen. Denn daran fehlt mir's just, und ich habe weder die Namen einzelner Körper, mit denen man gewöhnlich so konfus ist, noch auch gewisse andere bestimmte Begriffe zusammenbringen können. (NB. Die Freiberger Akademie verdient wirklich vieles Lob.) Und so lass' ich diesen Menschen seit ungefähr einem halben Jahr, wie ich dir's auch werde geschrieben haben, das Land durchreisen und schränke mich nicht philisterhaft, wie die neuesten Kursachsen darauf ein, ob dieser oder jener Berg dem Herzog von Weimar gehört, oder nicht. Wie ein Hirsch, der ohne Rücksicht des Territoriums sich ässet, denk ich muß der Mineraloge auch seyn. Und so hab ich vom Gipfel des Inselberges, des höchsten vom Thüringerwald, bis ins Würzburgische, Fuldische, Hessische, Kursächsische, bis über die Saale hinüber und wieder so weiter bis Saalfeld und Coburg herum, meine schnellen Ausflüge und Ausschickungen getrieben. Habe die meisten Stein, und Gebirgarten von allen diesen Gegenden beisammen und finde in meiner Art zu sehen, das bischen Metallische, das den mühseligen Menschen in die Tiefen hineinlockt, immer das Geringste. Durch dieses alles zusammen, und durch die [310] Kramereien einiger Vorgänger bin ich im Stande, einen kleinen Aufsatz zu liefern, der gewiß interessant seyn soll. Ich habe jetzt die allgemeinsten Ideen und gewiß einen reinen Begriff, wie alles auf einander steht und liegt, ohne Prätension auszuführen, wie es auf einander gekommen ist. Da ich einmal nichts aus Büchern lernen kann, so fang ich erst jetzt an, nachdem ich die meilenlangen Blätter unserer Gegenden umgeschlagen habe, auch die Erfahrungen anderer zu studiren und zu nutzen. Dies Feld ist, wie ich jetzt erst sehe, kurze Zeit her mit großem Fleiß bebaut worden, und ich bin überzeugt, daß bei so viel Versuchen und Hülfsmitteln ein einziger großer Mensch, der mit den Füßen oder dem Geist die Welt umlaufen könnte, diesen seltsamen zusammengebauten Ball ein vor allemal erkennen und uns beschreiben könnte, was vielleicht schon Büffon im höchsten Sinne gethan hat, weswegen auch Franzosen und Teutschfranzosen und Teutsche sagen, er habe einen Roman geschrieben, welches sehr wohl gesagt ist, weil das ehrsame Publicum alles außerordentliche nur durch den Roman kennt. Hast du des de Saussure Voyage dans les Alpes gesehen? Das kleine Viertel, das ich davon noch habe lesen können, macht mir sehr viel Liebe und Zutrauen zu diesem Manne. Ich habe vor, wenn ich das Buch durchhabe, ihn, oder einen andern Genfer, den ich kenne, um die Steinarten zu bitten, die er beschreibt, es ist das einzige Mittel, [311] wie man sich kann verstehen lernen. Ich weiß nicht, wie's mit dir ist, aber du siehst, daß mir's Ernst ist. Kannst du und willst du mir Etwas von der Art sammeln, so machst du mir einen vergnügten Augenblick. NB. Wir haben ganz unstreitige Vulkans entdeckt, einen ungeheuern Krater, Asche, Schörlkrystallen drinne, Lavaglas, Lava, Tarassteine, und alle Sorten von Basalt, nicht etwa zusammengesucht und gelesen und erkümmerlicht, sondern Alles in einem Bezirke von wenigen Stunden und mit Händen greifbar. Nimm nun dazu, was wir von Cassel und Frankfurt wissen, über das Alles gehet nun jetzt meine Speculation. Ich würde herzlich vergnügt seyn, wenn du von deiner Seite Etwas daran beitragen wolltest, allenfalls auch nur durch den Hesse, ich wollte ihm meine Gedanken sagen, was ich untersucht haben möchte, und wer mir von seiner Gegend aus helfen will, soll von hier aus eine complette Gebirgsart und Erzsammlung haben, mit wenig Worten, die die Folge davon deutlich machen.

Lebe wohl und schreibe bald wieder.

Was hast du zu des La Roche Veränderung gesagt?

Grüse deine Frau und besuche die Mutter einmal, sie hat etwas für dich, das du lesen sollst, wenn du's nicht schon gesehen hast: die Vögel.

Eben erhielt ich deinen Brief.

[312] Wir sind schon in Eisenach gewesen. Sehr wohl hätt ich dich wieder auf der Wartburg empfangen wollen, wo ich doch nur Eine Nacht war. Ich seh dich also nicht, wenn du nicht Lust hast die neun Meilen hierher zu machen, oder mir einen Rendevous schreibst. Auf einige Tage könnt ich abkommen, und komm in aller Stille etwa auf Kreuzburg. Das liegt dir noch näher und nach Eisenach mag ich nicht hinein. Du müßtest mir zeitig schreiben und mir auf Einen Tag auf oder ab sagen können.

Adieu! Der Momper ist trefflich; ich hab mir ihn angemaßt. Sieh, daß du mir so was in Cassel eroberst.

Was sind die Caracche schön! Ach lieber Gott, daß man so lang leben muß, eh man so was sieht und sehen lernt!

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1780. An Johann Heinrich Merck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8346-2