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An Sara von Grotthuß

Als ein zwar nicht gieriger, aber doch seit geraumer Zeit von ausländischen Leckerbissen nicht heimgesuchter Tischfreund wollte ich die, durch den buntgefiederten Courier angekündigten, nordischen Wohlthaten erst abwarten; allein da diese bis jetzt noch nicht angelangt, so will ich nicht länger säumen, Ihnen, vortreffliche Freundin, für das gütige und erquickliche Andenken meinen besten Gruß und die Anerkennung Ihres theuern Wohlwollens zu erwidern.

Man enthielte sich gern jetzt alles Blickes in die Ferne, da man mit dem Nächsten auf mancherley Weise bedrängt ist, wenn nicht das Glück der Sieger in Süd-Westen und das Schicksal der Freunde in[133] Nordosten unsere Theilnahme und Aufmerksamkeit gewaltsam an sich zöge. Jene machen unseren Herzen täglich mehr Lust, da sie unsern Hoffnungen immer voreilen; hingegen fühlen wir uns beengt und betrübt, wenn wir an diese gedenken, und ihnen im Geiste nur leere Wünsche, und in Briefen nur gehaltlose Worte zusenden können. Und so hält die Freude den Schmerz im Gleichgewicht, und wiegt ihn zuletzt denn doch auf, weil sich Erwartungen hervorthun, die vielleicht nie gegründeter und von mehr nachhaltiger Kraft unterstützt waren.

Lassen Sie uns also, theure Freundin, diese letzten Wintertage als frühlingsweissagend betrachten. Es müßte seltsam zugehen, wenn nicht bald das Bessere von allen Seiten hervortretten sollte. Ist indeß dem Beobachter nicht ganz erfreulich, wie sich die befreyten Deutschen schon wieder literarisch gegen einander benehmen; so muß man denken, daß dieß nun einmal die Art der Nation ist, sobald sie von fremden Drucke sich befreyt fühlt, unter sich zu zerfallen. Was mich betrifft, so erlauben mir glückliche Umstände und Ereignisse einen ganz engen Zauberkreis um mich her zu ziehen, in welchem ich, nach alter Gewohnheit, meinen stillen Beschäftigungen nachhänge, das was ich Zeitlebens vorgenommen wieder aufnehme, um das brauchbare davon meinen zwar wunderlichen, jedoch immer geliebten Landsleuten aufzubewahren.

[134] Möge ich von Ihnen und Ihrem theuren Gemahl bald recht viel Wünschenswerthes vernehmen.

Riemer dessen Hand Sie wohl in diesem Blatte erkennen grüßt zum schönsten. Möge ich Ihnen immer empfohlen seyn.

Weimar d. 7. Febr. 1814.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Sara von Grotthuß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8396-0