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An Carl Friedrich Zelter

Ein Packetchen poetisches Allerley, welches ohngefähr vor acht Tagen abgegangen, wird dir glücklich zugekommen seyn. Nun will ich aber mit prosaischen Worten nachholen, dir sagen und versichern, daß dein langes Stillschweigen mir höchst peinlich gewesen. Ich gestehe gern, daß uns allen der Athem bis zum Außenbleiben mag gestockt haben, den man nur in freundschaftlicher Mittheilung wiederfinden kann.

Voran also will ich sagen, daß unsre kleine Sang-und Klang-Gesellschaft nur an dir gezehrt und gelebt, und nach trauriger Pause an dir wieder auferstanden ist. Die Verklärung der Johanna Sebus haben wir als Sacrament unserer Rettung aus den unendlich breiten Fluthen gefeyert.

Zu dem In te Domine speravi hätte ich auch ein langes Mährchen zu erzählen, wie ich mir, bey sonderbaren innern und äußern Bedrängnissen, diese Worte in meiner böhmischen Einsamkeit rhythmisch klanglos, aber doch vier-persönlich um nicht vierstimmig zu sagen, componirt, und keinen angelegentlichern [172] Wunsch gehabt, als diese schönen Worte durch dich musicalisch zu hören. Ich kam in Versuchung, vier Linien unter einander zu ziehen, um die Art wie ich es genommen, anschaulich zu machen. Jetzt, da ich deine Composition höre, bin ich darüber völlig belehrt und finde darin eine angenehme Erfahrung. Der Dilettant nämlich wird durchaus nur durch das Faßliche und eine unmittelbare Wirkung gerührt, und dieß charakterisirt auch seine Productionen, wenn er in irgend einer Kunst sich versuchend auftritt. Meine Composition, die sich ziemlich abgerundet und fixirt hat, ähnelt einer von Jomelli und es ist immer wunderbar und lustig genug, daß man sich zufällig auf solchen Wegen ertappt und sich einmal seines eignen Nachtwandlens bewußt wird. Um hierüber in einem andern Fache klar zu werden, dem ich mich ernstlicher gewidmet habe, sortire ich ältere landschaftliche Skizzen, und werde hierbey auch das Ähnliche gewahr.

In der wandelnden Glocke muß doch etwas Magisches ertönen: denn wirklich habe ich sie in Töplitz geschrieben, wohin sie dich zu rufen schien.

Daß meine verliebten Launen noch nach vierzig Jahren die Berliner interessiren können, giebt mir Vermuthung, daß darin etwas Frisches müsse enthalten seyn, welches der Zeit nicht unterliegt.

Riemern, der in seinem Amte immer froher wird, weil er sich dem Kreise, der für ihn viel zu eng ist,[173] anzueignen und immer mehr zu thun lernt, indem er weniger thut, habe ich deine Invectiven gegen die Philologen mitgetheilt. Er war darüber sehr erfreut und empfiehl sich dir auf's beste. Ich wünschte, daß du seinen Commentar darüber hören könntest. Da er selbst vom Metier ist, so weißt er am besten, wo sich eigentlich die Erbsünde dieser Mängel herleitet, die er verwünscht, weil sie, ob er sich gleich selbst davon befreyt hat, durch andere auf ihn lastet. Die unendliche Schwierigkeit eine große überlieferte Masse als eine zweyte Natur mit Freyheit zu behandeln, ist um so größer, als wir ja der ersten Natur gegenüber, uns, wenn wir recht aufrichtig seyn wollen, immer unzulänglich fühlen.

Kannst du mir etwas zu meinem kleinen Singe-Concert mittheilen, so ist es eine große Gabe. Dieses Anstältchen zieht sich durch Zeit und Umstände hindurch, wie Gänge und Klüfte durch die Gebirgsmassen; bald metallhaltig bearbeitet man sie mit Vortheil, bald ist es aber auch nur Gangart, die zuletzt selbst so schmal wird und zu verschwinden droht, aber doch immer darauf hindeutet, daß man beharrlich fortarbeitend in derselben Richtung wieder etwas Erfreuliches finden werde.

Von hundert Dingen schweige ich, und bringe sie gelegentlich zur Sprache. Wahrscheinlich entferne ich mich diesen Sommer nicht weit von Weimar. Könntest du dich auf einige Wochen dort losreißen, so würdest [174] du eine Welt zu mir bringen und wir wollten suchen dir ein Weltchen als Gastgeschenk zurück zu geben.

Zu lustiger Raumfüllung mögen hier ein paar Reimsprüche aus der Tasche des Weltlaufes schließen.

Die Jahre sind allerliebste Leute! . . .


Das Alter ist ein höflich Mann, . . .


Weimar den 23. Februar 1814.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-83EF-A