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An Christiane von Goethe

[Wiesbaden, den 19 August 1814.]

Zuvörderst also wirst du abermals gerühmt, mein liebes Kind, daß du mich in diese Gegend zu gehen bewogen. Erde, Himmel und Menschen sind anders, alles hat einen heitern Karacter und wird mir täglich wohlthätiger. Die Verhältnisse eines Badegastes sind mir nun auch schon deutlicher, ich habe ein sauberes, kühles Quartier bezogen, speise auf dem Zimmer und lebe ganz nach meiner Weise. Unter den hiesigen Angestellen und Geschäftsleuten giebt es bedeutende Männer, ich habe schon mehrere kennen gelernt. Oberbergrath Cramer besitzt ein trefflich Mineralien Kabinet, das mich schon viele Abende beschäftigt. Das Schwalbacher Wasser, zusammen mit dem hiesigen Bade bekommt mir sehr wohl und so geht ein Tag nach dem andern hin, vergnüglich, heilsam und nützlich. Riese hat mich besucht, er ist gar treu, gut und verständig. Gerning ist auch hier, spielt aber eine wunderliche Rolle, die mir noch nicht ganz klar ist. Er mischt sich in vieles, macht den Unterhändler, Mäkler, Versprecher. Als Dichter, Antiquar, Journalist sucht er auch Einfluß und scheint nirgends Vertrauen zu erregen. Überhaupt scheinen sich die Menschen nicht an einander zu schließen. In einem Orte wo man täglich unter ein Duzzend Luftpartien wählen kann,[17] müssen sich Gesellschaften und Familien sehr zerstreuen. Auch das Geschäftsleben hat einen weiteren und lustigern Wirkungskreis. Ich will mir das alles recht ansehn. Der dirigirende Minister und alle oberen Staatsbeamten sind junge Männer, die auch für den Genuß arbeiten und für ihre Thätigkeit einen schönen Spielraum haben. Der Herzog ist in den siebzigen, nimmt sich vorzüglich des Militärs an, das aus schönen jungen Leuten besteht. Der hier garnisonirende Theil ist fast gekleidet wie unsre.

Wiesbaden liegt in einem weiten Thal, das vorwärts, nach Süden, von Hügeln, nordwärts von Bergen begrenzt wird. Besteigt man die letzteren: so hat man eine unendliche und höchst schöne Aussicht.

(Vorstehendes war geschrieben Sonnabend
d. 13 Aug. Was mir seit jener Zeit gutes
begegnet enthält das nächste Blat)

Sonntag d. 14ten speiste ich abermals in Bieberich, wo ich wieder gnädige, freundliche Herrschaften, treffliche Tafel und köstliche Weine fand. Montags hatte ich den Einfall nach Rüdesheim zu gehen, und fuhr mit Bergr. Cramer und Zelter nach Tische ab; durch das übermäsig schöne Rheingau. Wir kamen zeitig genug an, dass wir bey Sonnen Untergang die alte, von Graf Ingelheim, auf eine gar löbliche Weise, wiederhergestellte römische Ruine besteigen konnten. August mag davon erzählen. Dienstag d. 16ten war auf dem jenseitigen Rheinufer, grosse erste[18] Wallfahrt zu einer, nach dem Kriege, wiederhergestellten Capelle, dem heil. Rochus gewiedmet. Wir setzten über beym heitersten Wetter, und fanden auf der Höhe wohl 10000 Menschen um das Kirchlein sich versammlend. Die Manigfaltigkeit und Luft dieses Festes ist schriftlich nicht zu beschreiben. Bis Mittag währte das Gedränge. Dann gingen wir nachBingen hinunter, fuhren im Kahn durchs Bingerloch hin und zurück und liesen uns nach Rüdesheim hinauf ziehen. Nachdem wir trefflich gespeist, fuhren wir nach Elfeld, blieben im Gasthaus zur Rose, das unmittelbar auf den Rhein Sieht. Morgens regnete es gewaltig, nach so langer Dürre höchst erwünscht. Doch konnten wir abfahren, Besuchten Herrn v. Gerning inSchierstein und waren zu rechter Tafelzeit hier. Abends im Cursaal und sodann Donnerstags d. 18ten mit einer grosen Gesellschaft auf der Platte, wo es denn lustig zuging. Indessen befleisigte ich mich des Badens und Schwalbacher Wassers, Und befinde mich sehr wohl.

Riemern danke für die mir mitgetheilten Correspondenz Nachrichten. August soll sich auf die Versteinerungen freuen. Die aus der Übergangs Epoche sind sehr wichtig. Grüse Ulinen und sagt mir gelegentlich wie es euch geht. Meine Absicht ist bis Anfang September hier zu bleiben. Sendet mir deshalb Spätere Briefe an Schlosser. Die Castanien gerathen[19] nicht reichlich, doch will ich für eine tüchtige Sendung sorgen. Jetzt lebet wohl grüsset Hofr. Meyer. Zelter ist prächtig und lobt auch die Wirkung des Bades. Adieu.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Christiane von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-83F6-7