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An August von Goethe

Nur summarisch will ich dir vermelden, mein lieber Sohn, daß es mir bis jetzt sehr wohl gegangen. Am 1. September verlies ich Morgends um 7 Uhr Wiesbaden und gelangte um halb 10 nach Winckel zu der Familie Brentano. Zelter und Schlosser waren vorausgegangen. Das schönste Wetter ließ die Herrlichkeit des Rheingaus in voller Maase geniesen. Jene genannten beyden Freunde zogen nun Rheinab, und schon Nachtische führten mich meine freundlichen Wirthe nach Rüdesheim und Kloster Eibingen. Den 2ten besuchten wir das greifenklauische Schloß Vollrats und von da den Johannesberg, wo wir bey Sonnenuntergang die weite, reiche Gegend im schönsten Lichte betrachteten. Den dritten gings auf den Niederwald wo ich überall deiner gedachte: denn du hast ja diese Wunder auch alle beschaut. Der Tempel steht noch wohl erhalten, manches andere verfällt, die Gegend behauptet ewig ihre Rechte.

Den vierten. Setzten wir über auf den Weinheim. Gelangten nach Nieder-Ingelheim, wo wir die wenigen Trümmer aus der Zeit Carls des Grosen aufsuchten. An einem verfallenen Schlosse späterer Zeit findet sich ein Stück einer weisen Marmorsäule. Der rothe Ingelheimer Wein schmeckte gut, so wie überhaupt diese Tage her nur gute Sorten getruncken wurden. Erst [32] spät in der Nacht erreichten wir das diesseitige Ufer und unsre Wohnung. Den fünften früh auf Rüdesheim, bey starckem Wind auf Bingen, nach Tische auf den Rochusberg, dann die neue Chaussee hin, lincks ab gegen Ober-Ingelheim. Abermals altes Schloß, Kirche, guter Wein u.s.w. Bey Zeiten und sehr angenehm herüber.

Heute den sechsten früh ist Herr Brentano nach Franckfurt. Ich redigire an meinem Tagebuch, Carl schreibt ab, der sich überhaupt sehr gut beträgt. Das Wetter läßt sich mitunter sehr herbstlich an. Montag d. 11ten dencke ich in Franckfurt zu seyn. Von da schreib ich wieder. Hier bin ich sehr gut, schön und bequem, man thut mir alles zu Lieb und Lust. Ohne die Aufmercksame Gefälligkeit dieser Familie hätte ich die Gegend im ganzen Umfang nicht kennen lernen, welches sehr der Mühe werth ist. Man kann lange in der Erinnerung dieser Bilder genießen. Ich habe viel aufgeschrieben um das Gedächtniß zu begründen. Auch sind mancherley Späse vorgekommen. Wenn ich nach Wiesbaden zurückkomme hoffe ich etwas von Euch zu finden. Meine angelegentlichsten Wünsche sind daß es Euch wohlgehe.

Amen!

Langen Winckel d. 6. Sept. 1814.

G. [33]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An August von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8424-6