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An Christiane von Goethe

Heidelberg [1. October 1814.]

Mittwoch d. 28. Sept. Wiederholte Betrachtung der Bilder des Schoréel in Gesellschaft von Joh. v. Eycks, Hemskercks und Albert Dürers Wercken. Sodann ward der große van Eyck, die Anbetung der Könige, mit seinen beyden Flügeln, der Verkündigung und Darstellung im Tempel zusammen aufgestellt, wozu sie schöne Vorrichtung haben. Diese Drey streiten mit einem vierten um den Vorzug, Luckas [45] der die säugende Mutter Gottes mahlt. Selbst wenn man sie oft gesehen hat, hält man diese Bilder nicht für möglich. Ich suche mir jetzt den Gang dieser Kunst so gut als es gehen will zu vergegenwärtigen; auch bey ihr greift die politische und Kirchengeschichte mächtig ein. Die Besitzer haben die Sache gut studirt und erleichtern die Einsicht auf alle Weise.

Mittags bey Voß mit Paulus, wo es recht vergnüglich herging. Sodann spazieren. Abends bey Frau von Humbold. Nachts die Geschichte der Meister die mir bekannt geworden im Descamps gelesen.

Donnerstag d. 29. S. Byzantinische und Niederl. Gräcisirende Bilder. Nach Eyck auf Goldgrund gemahlte. Joh. v. Eycks Altar aus der Ferne gesehen.Quintin Messis. (Miniaturen aus Meßbüchern. Übereinstimmung der älteren Zeiten in sich. Ungeheures Element, das kirchliche, worinn unzählige Künstler Unterhalt und Gelegenheit finden. Mosaick, Schnizwerck, Goldschmieds Arbeit, Fresco, Miniatur Mahlerey, Stickerey Teppiche, Fahnen, alles in ganzen Gilden und Brüderschaften. Traditionen der Art die Charaktere und Geschichten vorzustellen, von denen man erst gar nicht abwich, und auch zuletzt immer das Wesentliche beybehielt.)

Bey Thibaut, in großer Männergesellschaft, sehr munter und vergnügt. Unser freundlicher Wirth tranck Augusts Gesundheit mit theilnehmender Liebe. Zu Hause, noch einiges gesehen. Zu Paulus, zu Frau [46] v. Humbold, welche sich zur Abreise anschickte. Herrlicher Mondenschein.

Freytag d. 30 Sept. Spazierte früh erst über die Brücke und zurück, die Sonne bezwang die Nebel. Durch die Stadt, zum Carlsthor hinaus, den Necker aufwärts im Schatten der Felsen. Es war der herrlichste Herbstmorgen. Ein wunderlicher Mann redete mich an, Nahmens Loos, ein Arzt, wollte Augusten gekannt haben. Ich erfuhr allerley von ihm. Dann begegnete mir Paulus und nun fing es an heis zu werden.

Zu Hause wurden wieder die besten Bilder hervorgerufen, nebeneinander gestellt und verglichen.

Mittags speisten wir bey Herrn Minister von Reizenstein, in sehr angenehmer Gesellschaft, zu Hause diskurrirten wir bis gegen Abend. brachten einige Stunden bey Herrn Domherr von Wambold zu.

Das Wetter war noch immer schön, obgleich die Hähne schon Morgens gekräht hatten.

Sonnabend d. 1. Octbr., bey einem obgleich windigen doch heitern Morgen auf das Schloss. Die Anlage des Gartens ist einzig reizend, wie die Aussicht heiter und reich. Die Gräben, Terassen, Wälle so hübsch und reinlich angelegt, daß es mit den alten ruinirten Türmen Gebäuden und Epheumauren den gefälligsten Contrast macht.

Dann las ich einiges betrachtete mehrere Bilder unter andern des Martin Hemskerck mit Aufmercksamkeit. [47] Von Cöln und den Niederlanden und was alles dort noch aufbewahrt ist ward viel gesprochen. Zu Mittag im Hause, mit denen Herren v. Reizenstein und Thibaut. Die Bilder, die man bisher einzeln betrachtet, waren nun in den drey Zimmern zusammen aufgehängt. Sie überwiegen alle Pracht, die sich der reichste geben kann. Heute Abend werden mehrere Freunde zusammen kommen. Morgen fahren wir nach Manheim, ich werde vor allem Lucks besuchen und ins Theater gehen. Davon vernehmt ihr das weitere. Und nun Adieu

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Christiane von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-84DF-6