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An Carl Ludwig von Knebel

Weimar den 4. Junius 1780.

Reise-Route durch die Schweiz.
Nr. 1.

Wenn du nach Stuttgart kommen solltest, so such' den Expeditionsrath Hartmann auf, der zu Expeditionen ganz vortrefflich ist. Sein Bruder ist in Gotha beim Prinzen August. Er hat uns bei unserm letzten Aufenthalt viel Gefälligkeit erzeigt. In Schaffhausen den Herrn Im Thurn, einen stillen aber sehr verständigen und gefälligen Mann und Freund von Lavatern. Du grüssest ihn und seine Frau wie alle folgenden, die ich dir in Ehren nenne. Sein Weibchen ist ein gar feines gutes hypochondrisches Wesen. Er wird dir alles sehr gerne zeigen. Versäume nicht von da über Stein auf Constanz zu gehen. Es liegt sehr glücklich, so verfallen es an sich selbst ist. An dem [358] Wege liegt Clarisek, wo jetzo Kaufmann wohnt. Vermeide diesen Menschen, wenn's auch Gelegenheit gäbe ihn zu sehen. In Costniz selbst, wenn du schön Wetter hast, wirst du gewiß Lust haben zu bleiben. Die verschiedenen Theile des Sees zu sehen muß höchst angenehm seyn, wir konnten nichts davon genießen. Von da auf Frauenfeld wo ein altes Weib wegen ihres außerordentlichen Gedächtnisses merkwürdig ist. In Winterthur besuchst du den Maler Schellenberg. In Zürch überlaß ich dich Lavatern. Von da laß dich auf Richterswiel führen zum Doktor Hoz, ein sehr braver und liebevoller Mann. Wenn du von da aus einen recht interessanten Weg machen willst, so mußt du alles zu Fuße gehn. Du packst, wenn du mir folgen willst, schon zu Zürich so viel zusammen, als du au 14 Tage brauchst, und richte dich nur sehr leicht ein. Denn unter Wegs zieht man die alten Hemden und Strümpfe durchs Wasser und zieht sie den andern Morgen wieder an. Deinen Koffer spedirst du mit einem Fahrzeuge auf Luzern, wo er dich erwarten kann, du aber gehst von Richterswiel auf Maria-Einsiedel, wo dir das prächtige Gebäude in der Wüste, her Fürst den du besuchen mußt, der Schatz und die ganze klösterliche Einrichtung sehr wohl gefallen werden. Von da geht ein beschwerlicher Stieg nach Schwiz hinunter, wo man aber die schönste Aussicht antrifft. Ich rathe immer zu solchen Touren, wenn sie auch nur einige Stunden sind, [359] ganze Tage zu nehmen und sich ja nicht zu übertreiben und zu übereilen. Es gilt dieses für alles was noch kommt. In Schwiz ist das Hedlingerische Medaillen Cabinet zu sehen, auch Zeichnungen von diesem trefflichen Künstler. Von Schwiz geht man nach Brunnen am vier Waldstätter See und fährt auf Flüelen. Dieser Weg ist mit das größte was man auf der ganzen Reise zu sehen kriegt. Unterwegs steigt man einen Augenblick in Tells Capelle aus. Von Flüelen geht man zu Fuß auf Alldorf. Von da ein sehr schönes Thal hin bis zu dem Fuß des Gotthards, wo ich dir rathe am Steg zu übernachten und den andern Morgen bei guter Tagzeit hinauf zu steigen, aber auch alsdann nicht weiter als Wasen zu gehen und diesen Weg, dergleichen du nicht wieder finden wirst, recht zu genießen. Alsdenn auf den Cotthard zu den Capucinern und wenn du dich recht umgesehen hast, so steig alsdenn den Berg wieder durch eben den Weg herunter. Wenn ich jemals in die Gegend käme, ohne daß mich etwas drängte, so würde ich mich eine ganze Zeit daselbst aufhalten, welches dir vielleicht so wohl werden wird. Du kommst, wie ich gesagt habe, den alten Weg bis Flüelen zurück, setzest dich auf den See und fährst grad auf Luzern. Daselbst besuchst du den General Pfeiffer, der das merkwürdige Modell von der umliegenden Gegend gemacht hat, den du vom Herzog und mir grüssen und versichern kannst, daß es uns [360] sehr leid gethan hat, seine Bekanntschaft nicht zu machen. An der bisher beschriebenen Tour, die sich in wenig Tagen zwingen läßt, kann man viele Monate kauen und nach deiner Art zu seyn würd' ich dir fast rathen, diese Gegenden mit einem sachten Genusse recht einzuschlürfen. Ich bin die beiden Male nur wie ein Vogel durch, und sehne mich immer wieder hin. Wäre nun deine Zeit verstrichen oder du hättest genug, so könntest du über Solothurn und Basel, an welchem letzten Orte dir Herr Gedeon Burkhardt gewiß gefällig seyn wird, wieder nach Deutschland eintreten. In Emmendingen besuchst du meinen Schwager, nachdem du vorher bey Freiburg die Hölle gesehen hast und versäumst nicht in Colmar Pfeffeln zu besuchen und das übrige versteht sich von selbst.

Nr. 2.

Hättest du aber in Luzern noch Zeit und Lust dich auszubreiten, so schlag ich dir noch eine Tour vor, wovon ich zwar einen Theil nicht, und einen andern nicht auf die Art gemacht habe, doch kannst du versichert seyn, daß er dich trefflich vergnügen wird. Du schickst deinen Koffer wieder von Luzern auf Bern, nimmst wie das vorigemal ein kleines Packet mit und fährst auf dem See von Luzern auf Stansstad im Canton Unterwald. Von da gehst du auf Stans, sodann aufs Kloster Engelberg und kommst über den Engstliberg im Canton Bern ins Hasliland. [361] Grund, nennen sie, wie ich mich erinnere ein sehr kleines eingeschränktes Thälchen, wodurch die Aar fließt, von da machst du dich auf Meiringen, von da auf Tracht, am Brienzer See, fährst zu Schiff auf Interlacken, gehst auf Untersewen, das Thal hinein auf Gründelwald um die Gletscher zu sehen. Von da, wo möglich über den Berg nach Lauterbrunnen um den Staubbach und die hintern Gletscher, dem Steinberg gegen über, zu sehen. Dann auf Untersewen zurück, zu Schiff über den Thunersee, wo du im Vorbeigehen an der Beatenhöhle halten läßt und kommst auf Thun. Frage daselbst nach einem Peter Kocher, der unser Schiffer und Führer auf der Reise war und den wir was ehrlichs zum Narren gehabt haben. Wenn du ihm einen Gruß von uns bringst wird er eine kindische Freude haben. Von Thun fährst du in einem Miethwagen nach Bern, vielleicht triffst du Retourchaisen an. In Bern bringst du dem Hauptmann Sinner, Sohn des Avoyérs, viel Complimente. Sagst Herrn von Kirchberger von Gottstedt sehr viel Gutes von mir. Es ist dieses ein verständiger und braver Mann, besuchst den Maler Aberli und Herrn Pastor Wyttenbach der ein eifriger Bergläufer und geschickter Naturkundiger ist, und siehst was dort zu sehen ist, was dir ein jeder leicht anzeigt. Willst du hier deine Reise schließen, so gehst du von hier auf Solothurn, Basel und so weiter. Hast du aber da noch Lust dich tiefer einzulassen, so[362] will ich dir noch einen Weg vorschreiben, von dem du dich aber mußt alsdann nicht abwendig machen lassen, weil man die Gegenden, durch die ich dich fühlen will, in zwanzigerlei Kombinationen besuchen kann und jeder der dir räth, die Sache anders ansieht. Da ich aber das Ganze kenne, versichre ich dich, daß auf meine vorzuschlagende Weise, die meisten und interessantesten Gegenstände an einander gekettet sind.

Nr. 3.

Von Bern auf Murten, Auenche, Pajerne, Moudon, Lausanne. Diesen Weg kannst du im Wagen machen. In Lausanne suchst du Matthäi auf, der bei dem Grasen Forstenburg Hofmeister ist. Von Lausanne miethest du Pferde und gehst auf Lutri, Culli, Vevay, Villeneufe, Aigle, wo die Salzwerke zu sehen sind, Bex und von da nach St. Moriz ins Wallis. Auf Martinach wo du auf dem Weg die Pissevache siehst. Von da rath ich dir bis Sion das Land hinauf zu gehen, dich auf dem Schlosse Turbillon umzusehen und alsdenn wieder zurück auf Martinach. Hier mußt du deine Pferde verlassen und die weitere Reise zu Fuß antreten. Du wirst am besten thun wenn du zu der ebengedachten Tour gleich in Lausanne Pferde miethest und sie alsdenn von Martinach zurückschickst. Von Martinach steigst du einen sehr beschwerlichen Weg, doch immer besser zu Fuße, als auf Maulthieren, über Trient nach Valorsine und [363] Chamouni. Dort wendest du einige Tage an, um die Merkwürdigkeiten der Eisberge mit Bequemlichkeit zu sehen. Gehst auf Maulthieren bis Salenche, von da auf Cluse, siehst zwischen diesen beiden Orten, wenn du zu halsbrechendem Klettern Lust hast, die Caverne de Balme, weiter auf Bonneville und Genéve. Besuche ja die Herrn Hubert, Saußure und Bonnet, die all auf ihren Landgütern sind. Beide letzte kannst du auf deiner Reise nach Lausanne sprechen. Versäume nicht in Fernay die Fußtapfen des Alten zu verehren und kehre über Nion, Rolle, Morges nach Lausanne zurück. Von da grad auf Yverdun, von Yverdun auf Neuschatell. Willst du von da aus die merkwürdigen Thäler des Vallengin besuchen, so erkundige dich dort herum, ich bin nicht da gewesen. Von Neuschatell auf Biel, von da durchs höchst interessante Münsterthal auf Basel; freilich ist dieses Nr. 3 eine sehr wichtige und weitläuftige Tour. Es könnte seyn, daß dir nur gelegen wäre den Genfersee zu sehen, also liesest du von Lausanne aus den Weg durchs Wallis fahren und gingst grad auf Genéve, wieder auf Lausanne zurück und so weiter auf Yverdun. Indeß muß ich das wiederholen, was ich schon gesagt habe, wenn du dieser meiner Anweisung wie einer Ordre folgst, so entgeht dir in der Nähe der Gegend wo du dich herumdrehst gewiß nichts sehr merkwürdiges. Dagegen wenn du dich irre machen läßt und einen Ort vor den andern nimmst, so bist [364] du entweder zu unangenehmen Hin und wiederreisen genöthigt oder du verwickelst dich in die gebirgige Gegend. Nicht, daß ich, da mir das Land so bekannt ist, nicht noch zehnerlei Arten vorschlagen wollte, doch muß am Ende eine gewählt seyn und für dich halt ich diese für die beste. Deine Sache wird nunmehr seyn dir von Lavatern ein kleines Zettelchen geben zu lassen, wen und was du noch an den verschiedenen Orten zu sehen hast; ferner dich, ehe du jede Station antrittst, wol um die Weiten zu erkundigen, dich nicht zu übereilen und auf Wind und Wetter acht zu geben. Nur im flachen Lande zu fahren, übrigens Pferde und Maulthiere vorzuziehen und in ganz gebirgigten Gegenden lieber gleich zu Fuße zu seyn. Man bezahlt die Maulthiere und geht nachhero doch. Die Verschiedenheit des Geldes wird dich sehr chikaniren und überhaupt müssen die phantastischen Fußgänger in der Schweiz theuer bezahlen. Es ist nöthig mit den Boten und Trägern, Schiffern und wen man braucht voraus zu akkordiren, man giebt ihnen doch immer zu viel. Man muß vermeiden gegen Bettler, Kinder u.s.w. unterwegs zu freigebig zu seyn, wie man meistenstheils zu thun pflegt, wenn man guten Humors ist, denn der Kerl, der mit dir geht, sieht gleich daß es ein Herr ist, dem's auf ein paar Thaler auf oder ab nicht ankommt und das pflanzt sich von Wirthshauß zu Wirthshauß, von Boten zu Boten fort. Dich nicht zu übereilen und [365] wenig aber gut zu sehen ist was ich dir vorzüglich rathe. Auf meiner ersten Reise machte ich nur die Tour die hier unter Nr. 1 steht; und hatte nach meinen damaligen Umständen genug. Die zum Dictionaire de la Suisse gehörende Charte mußt du dir in Schafhausen oder Zürich gleich zu verschaffen suchen, sie ist sehr gut und zum Verständniß meines Reisevorschlags unentbehrlich. Lebe wohl.

Goethe. [366]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1780. An Carl Ludwig von Knebel Reise-Route durch die Schweiz. Nr. 2. Nr. 3.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8770-4