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An Kaspar von Sternberg

Jenen höchst traurigen weimarischen Tagen zu Ende Juni ausweichend, befand ich mich auf den heitern Höhen von Dornburg, als ein trostreiches Schreiben, datirt Brzezina den 5. Juli, bey mir einlangte. Fürwahr trostreich, denn bey so großem Verluste ist es höchst aufrichtend, erinnert zu werden, was von Gutem, Vorzüglichem und Schätzbarem uns noch übrig bleibt.

Am 2. August ward ich sodann von dem höchst erfreulichen Besuch der Frau v. Löw und ihrer liebenswürdigen Tochter überrascht, die an mir vorüber und dorthin gingen, wohin ich ihnen mit dem treusten Gedanken und Empfindungen folgte. Ein zutraulich munteres Schreiben von dorther, datirt den 9. August, war mir ein sicheres Zeichen, meine den Damen übertragenen herzlichen Wünsche seyen glücklich erfüllt, und ich könne, über das Wohlbehagen der Freunde beruhigt, in stiller Thätigkeit weiter fortleben.

Erst gegen Ende des Monats kam, auf Veranlassung Ihro Königlichen Hoheit der verwitweten Frau Großherzogin, mir die unerwartete unerfreuliche Nachricht, der so verehrte als geliebte Freund habe sich, an einer gefährlichen Krankheit leidend, nach Prag begeben; doch fügte man die beruhigende Meldung hinzu, das Übel habe sich wieder gehoben, worauf ich [13] mich denn auch beruhigte und der frischen Hoffnung lebte, der verehrte Freund werde sich in dem Grad wieder hergestellt finden, um die Berliner Versammlung der Naturforscher besuchen zu können; da ich denn meinen stillen Wunsch, diese edle Gesellschaft das nächste Jahr in Prag zu wissen, wieder belebt sah.

Nun aber vernehm ich, daß man den Erwarteten in Berlin nicht gesehen; daneben von dorther, wie auch von Carlsbad, zweifelhafte Nachrichten, welche mich in Verwirrung und Verlegenheit setzen. Ich sende daher Gegenwärtiges mit der inständigen Bitte, mir von dem Befinden des Theuersten Nachricht zu ertheilen oder ertheilen zu lassen; denn ich gestehe gern: Nach dem betroffenen großen Unfall macht die Sorge von zu befürchtenden Übeln auf mich einen dergestalten Eindruck, daß die Dauer meiner eignen Erhaltung mir dagegen gleichgültig erscheint.

Schon war ich vorbereitet, freudige Nachricht zu geben, daß ich die zehn Wochen in Dornburg fast ganz der Naturlehre gewidmet, daß die Übersetzung in's Französische meiner Metamorphose der Pflanzen mich zu jenen früheren Bestrebungen wieder zurückgeführt. Wie ich ferner bey dieser Gelegenheit aufmerksam beachtet, was die neuern Franzosen, besonders Herr Decandolle, in diesem Sinne gefördert haben. Dabey fügte sich's wunderbar, daß ich zwischen hoffnungsvollen Traubengeländern und reichbehangenen Rebhügeln lebte und unmittelbar darauf hingewiesen [14] ward, was man neuerlichst zu Verbesserung des Weinbaues geschrieben, vorgeschlagen und versucht; deshalb denn auch die Physiologie des Weinstocks unmittelbar in der Natur zu studiren veranlaßt ward. Was soll uns das aber alles, wenn diejenigen sich zu entfernen drohen, mit welchen wir, gewissermaßen ausschließlich, uns über dergleichen Gegenstände zu unterhalten wünschten.

Mehr füge daher nicht hinzu als die Bitte, von dem Zustande des hochverehrten Freundes mich nicht unberichtet zu lassen, damit die Einsamkeit, womit das Alter bedroht ist, in ihrem hohlen furchtbaren Wesen nicht fortschreitend herandringe.

Vorstehendes war geschrieben, als Ihro Kaiserliche Hoheit die regierende Frau Großherzogin, aus Carlsbad zurückkehrend, mir mündlich versicherten: der verehrte Freund sey außer aller Gefahr und auf dem Wege vollkommener Besserung; daher ich denn mit doppelter Heiterkeit meine verehrte Gönnerin willkommen heißen konnte. An dieser höchst erfreulichen Nachricht mich wieder erholend, wag ich, die schon längst bereit liegende dritte Sendung meiner Werke einpacken zu lassen und mehrere Schriften beyzufügen, welche zum Andenken unseres verehrten Fürsten an's Licht getreten. Gewiß sind diese Bogen jeder Aufmerksamkeit werth, alle wegen ihres Gegenstandes, viele der Form und Behandlung willen.

[15] Verzeichniß lege bey und sende das Paquet zunächst mit der fahrenden Post.

In schmerzhaft geprüfter Anhänglichkeit

Weimar den 5. October 1828.

J. W. v. Goethe.

[Beilage.]
Verzeichniß.
A. Programm zum Trauerzeuge und der feyerlichen Beysetzung.
B. Trauerrede hierauf folgend.
C. und D. Gedichte zu dieser Gelegenheit von Riemer.
E. Parentalia der Akademie Jena in Lapidarstyl.
F. Gesänge der Loge Amalia am 3. September.
G. Gesänge zum 3. September zur Schulfeyer.
H. Schulprogramm zum 3. September.
I. Kurzgefaßter Nekrolog vom Canzler v. Müller.
K. Trauer-Actus in Jena.
L. Geh. Hofrath Eichstädts Rede bey dieser Gelegenheit.
M. Deutsche Übersetzung von Ober-Consistorial-Director Peucer.
Weimar den 5. October 1828.
G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Kaspar von Sternberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-87FA-E