46/139.

An Carl Friedrich Zelter

In deine Zustände kann ich mich auf's innigste hineindenken und -fühlen, auch recht deutlich schauen wie wunderlich dein Verhältniß zu dem lieben Menschengeschlecht sich ausgebildet hat. Das liebe Volk, (und so sind unsere charmanten anglomanen Freundinnen auch) glauben, man sey dazu da, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, ihren Wünschen und Grillen Vorschub zu thun, und so sey es eben recht. Das wissen wir lange, aber es eben recht. Das wissen wir lange, aber es incommodirt doch jeden Tag wo es eintritt. Auf alle Fälle hab ich es bequemer wie du, mein Freund, denn wenn ich halbweg guten Humors bin, so geht denn doch ein Tag nach dem andern ganz leidlich hin, nur darauf muß man Verzicht thun dasjenige gethan zu sehen, was man sich vorsetzte. Ich bin zuletzt darauf gekommen nur zu schieben, da muß denn doch zuletzt das Reifste abfallen.

Paganini hab ich denn auch gehört und sogleich an demselben Abend deinen Brief aufgeschlagen, wodurch ich mir denn einbilden konnte etwas Vernünftiges über diese Wunderlichkeiten zu denken. Mir fehlte zu dem was man Genuß nennt und was bey mir immer zwischen Sinnlichkeit und Verstand schwebt, eine Basis zu dieser Flammen- und Wolkensäule.

Wär ich in Berlin so würde ich die Möserischen Quartettabende selten versäumen. Dieser Art Exhibitionen [139] waren mir von jeher von der Instrumental-Musik das Verständlichste, man hört vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten, glaubt ihren Discursen etwas abzugewinnen und die Eigenthümlichkeiten der Instrumente kennen zu lernen. Für dießmal fehlt mir in Geist und Ohr ein solches Fundament, ich hörte nur etwas Meteorisches und wußte mir weiter davon, keine Rechenschaft zu geben; bedeutend ist es jedoch, die Menschen, besonders die Frauenzimmer darüber reden zu hören; es sind ganz eigentlich Confessionen, die sie mit dem besten Zutrauen aussprechen.

Nun aber wünscht ich zu erfahren, ob von dem werthen Felix günstige Nachrichten eingegangen sind. Ich nehme den größten Antheil an ihm; denn es ist höchst ängstlich ein Individuum, aus dem so viel geworden ist, durch einen niederträchtigen Zufall, in seiner vorschreitenden Thätigkeit gefährdet zu sehen. Sage mir etwas Tröstliches.

Herr Graf Redern besuchte mich gestern, und es kam das deutsche Theaterwesen wie es eben wes't ziemlich klar zur Sprache. Er hat, als Vorgesetzter, gute Gedanken zur Behandlung des Ganzen, die ich billigen mußte und wodurch im Äußerlichen höchst wahrscheinlich gewonnen wird. Dem Innern wird der Genius helfen wenn es ihm beliebt.

Läugnen kann ich übrigens nicht daß die Franzosen mich vorzüglich unterhalten; den Vorlesungen [140] von Guizot, Villemain und Cousin folg ich mit ruhiger Betrachtung, Le Globe, La Revue française und seit drey Wochen Le Temps, führen mich in einen Kreis den man in Deutschland vergebens suchen würde. Wenn ich ihnen aber in allem was unmittelbar auf das Sittlich-Praktische dringt das größte Lob ertheilen muß; so wollen mir ihre Naturbetrachtungen nicht gleichmäßig gefallen. Ist auch schon ihre Erfahrungsweise ganz respectabel, so können sie bey'm Übersenden sich von mechanischen und atomistischen Vorstellungen nicht los machen und werden sie eine Idee gewahr, so wollen sie solche zur Hinterthüre hereinbringen, welches ein- vor allemal nicht geht.

Du wirst mir verzeihen wenn ich von dem spreche, was mich am meisten beschäftigt ohne daß ich gerade glauben kann es interessire dich. Der 4te und 5te Band der Correspondenz wird nun auch zu dir gelangen und gelangt seyn; dabey wirst du wohl meiner im Guten gedenken. Der 6te Band wird bald folgen, mit einer Widmung an den König von Bayern, und so erlebten wir denn auch noch den Abschluß dieses wundersamen Werkes.

und so fort an!

Weimar den 9. November 1829.

G. [141]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-88B5-F