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An Carl Friedrich Burdach

Ew. Wohlgeboren

gehaltvolle Sendung kommt mir gerade in dem Augenblicke zu gute, als ich mich eben bereite, ältere Arbeiten zusammenzustellen und bey mir jede Betrachtung [23] im Einzelnen wieder anzuknüpfen, die ich im Allgemeinen niemals unterbrochen habe.

Ich schätze mich glücklich zu erleben, daß eine so bedeutende Anstalt wie die Ihrige auf Grundsätzen aufgebaut wird, die ich immer für die rechten gehalten habe, und nun fühle ich mich versichert, daß eine glückliche Methode die Erfahrung erweitern und zugleich erleichtern kann, welches Beides zu verbinden bisher unmöglich schien.

Die großen Vortheile der vergleichenden Anatomie, für deren Grund und Resultat wir die Morphologie wohl ansprechen dürfen, sehe ich täglich vor mir, indem unter Direction des Herrn Prof. Renner eine Veterinärschule gedeiht, die, in fünf Vierteljahren, vom ersten Augenblicke bis jetzt, mannichfache Erfahrung über die Thierkunde verbreitet, von den nothwendigsten und nützlichsten Geschöpfen ausgeht und, um zum vollständigen Begriffe derselben zu gelangen, über alles Lebendige sich ausbreiten muß.

Nach den geforderten Präparaten, die sich schon gesammelt haben, gab es auch Gelegenheit, dergleichen von weiter verwandten Geschöpfen auszuarbeiten und es wird immer augenfälliger, daß eins auf das andere hindeutet, daß, wenn wir den Hauptgedanken festhalten, selbst die größte Mannichfaltigkeit uns nicht mehr irre machen kann.

Ew. Wohlgeboren sehen hieraus, mit welchem Eifer ich Ihr Programm lesen und wieder lesen mußte, da [24] ich es durchaus mit meiner Sinnesweise übereinstimmend fand. Sie haben sich ganz im Allgemeinen gehalten, ich glaube aber, Ihrem Vortrage einen Theil des Besonderen unterlegen zu können, dessen Fülle Sie nach und nach reichlich entwickeln werden.

Zwar ist nicht zu läugnen, daß die Ausbildung der Morphologie, wenn man von der menschlichen Anatomie ausgeht, schon schwieriger wird. Man hat immer nur mit Abweichung der Gestalt zu thun, aber nicht mit Gegensätzen (Weib und Mann allenfalls). Der Menschenzergliederer scheint irre zu werden, wenn er auf die Thiere hinblickt, der Zootom hingegen sieht in der menschlichen Gestalt das vereinigte Ziel aller seiner Wünsche. Da er nun sogar aus Beruf mehrere von einander unterschiedene, ja einander entgegengesetzte Geschöpfe, wie Pferd, Stier, Schaf, Hund behandeln und erforschen muß; so ist er immer fort zu bedeutenden Vergleichungen genöthigt, die ihn früher dem allgemeinen Begriffe entgegenführen. Und so glaube ich denn auch aus Ihrem Programme gesehen zu haben, wie Sie mit Klugheit zu Werke gehen, und aus der höchst geheimnißvollen Beschränkung menschlicher gefunden ja kranken Bildung in die leichter faßlichen thierischen hinüberdeuten, um nach der Stellung, die Ihnen akademisch angewiesen ist, auch an das von vielen seiten zugängliche Ziel gelangen zu können.

Wenn ich hier nichts weiter sage, als was Sie schon denken mußten, ehe Sie Ihr Programm schrieben, [25] so sehen Sie doch daraus den Antheil, den ich an allem zu nehmen genöthigt bin, was Ihre neue und große Anstalt der Wissenschaft gewiß bedeutende Vortheile bringen muß. Haben Sie die Güte, mir von Zeit zu Zeit von Ihren Fortschritten Nachricht zu thun, und schreiben Sich's zu, wenn ich in meinen öffentlichen Mittheilungen vielleicht schneller verfahre, als ich ohne Ihre Anregung würde gethan haben.

[Jena, 25. Januar 1818.]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1818. An Carl Friedrich Burdach. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-89FF-5