32/169.

An Friedrich Wilhelm Riemer

[Concept.]

In Gefolg unseres vorgestrigen Gespräches erhalten Sie, werthester Herr Professor, gegenwärtiges Blatt, welches ich ungern verfasse, da es die Veränderung Ihres bisherigen Wohnortes zum Zwecke haben soll. Wenn aber auf irgend eine Empfehlung von meiner Seite auswärts einige gute Wirkung erfolgen könnte;[197] so möchte die Darstellung unserer mehrjährigen Verhältnisse hiezu die beste Veranlassung geben.

Als Sie in Jena [1803] aus Italien zurückkehrten, faßte ich sogleich einen günstigen Begriff von Ihrer Persönlichkeit und Kenntnissen, entbot Ihnen eine Stelle unter meinen Hausgenossen, mit dem Wunsch, daß Sie an der Bildung meines Sohns Theil nehmen möchten; welches Sie denn auch fleißig und treulich, durch gut- und böse Tage durchgeführt.

Da nun der erwachsene Sohn auf Akademien zog, verweilten Sie bey mir und nahmen an allen meinen Bemühungen für Kunst, Wissenschaft, Natur und Alterthum den thätigsten Antheil und überzeugten mich zugleich von bedeutenden Fortschritten in Ihrem eigenthümlichen Fache.

Eine Stelle bey unserem Gymnasium eröffnete sich und ich opferte meinen Vortheil gern der allgemeineren Bildung und Ihrer verdienten Anstellung auf; wie ich denn zugleich bey der Großherzoglichen Bibliothek Sie noch immer unter den Meinige fand. Die Ausgaben Ihres Lexikons zeugen von dem fortgesetzten entschiedenen Fleiße, so wie die bey dieser Gelegenheit geäußerten Grundmaximen und die daher abzuleitende leichtere Unterrichts-Methode fähigen Schülern zu großem Vortheil gereichte. Auch mir waren bis jetzt Ihre neusten Bestrebungen höchst nützlich und erfreulich, um so mehr, als durch ein langes Zusammenleben unsere Ansichten über ästhetische [198] und wissenschaftliche Behandlung der Vorkommnisse zu völliger Übereinstimmung gedeihen. Mein Sohn ist indessen zu allem Guten und Tüchtigen herangewachsen und seine Unterhaltung deutet unablässig auf Ihren Unterricht, wodurch er dem Alterthum Geschmack und Sinn abgewonnen.

Wenn ich nun gerade in gegenwärtigen Augenblick durch zusammentreffende Umstände einer solchen fruchtbaren Geselligkeit entbehren soll, in einem Alter, wo man sich geprüfter Freunde zu erfreuen wünscht, kaum aber noch neue in seinem Kreis aufzunehmen wagt; so muß ich abermals Ihres eigenen Vortheils und irgend einer vaterländischen Lehranstalt gedenken, wo Sie schon vorbereiteten und gebildeten Schülern in einem höhern Sinne nützlich zu seyn wünschen, als es bisher an einer Stelle möglich war, wo nur von Anfängern meistens die Rede seyn konnte.

Fasse ich eine solche Betrachtung recht in's Auge, so wird es mir denn leichter meinem eigenen Vortheil zu entsagen und Ihren auf einer neuen Laufbahn alles denkbare Glück zu wünschen.

Weimar d. 19. März 1820.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An Friedrich Wilhelm Riemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8A16-7