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An Sulpiz Boisserée

[21. December 1815.]

Ihren lieben Brief hab ich, zu meiner größten Aufmunterung, erhalten, denn ich bin so eben mit dem Druck nach Darmstadt, und mit dem Manuscript nach Heidelberg gelangt. Wie viel langsamer geht die Reise, als wir uns dachten! Bedenken Sie aber, daß bey den neuen Besitznehmungen und der daraus entspringenden neuen Organisation jeder in seinem Kreise die Hände vollauf zu thun hat.

Mir ist die Oberaufsicht über alle von dem Großherzog unmittelbar ausfließende Anstalten für Wissenschaft und Kunst geworden, oder eigentlich nur geblieben. Es ist vielleicht das wundersamste Departement in der Welt, ich habe mit neun Männern zu thun, die in einzelnen Fächern alle selbständig sind, unter sich nicht zusammenhängen und, bloß in mir vereinigt, eine ideelle Akademie bilden.

Verzeihen Sie daher, wenn ich nichts weiter sage, als daß das Schwänchen gepackt ist und so eben auf die fahrende Post soll.

[193] Es enthält: 1) Ein Exemplar Farbenlehre mit Tafeln (darinliegend).

2) Durchzeichnungen, auf den Straßburger Münster bezüglich. Die oberen Theile haben Sie schon, das Fundament ist Ihnen wohl interessant.

3) Ein Blättchen, für Herrn Hofrath Creuzer.

4) Die griechische Messe, die ich aber mir zurück erbitte.

5) Ein Packet für Herrn Hofrath Thibaut, das Verzeichniß der inliegenden Musicalien ist beygefügt; sie können abgeschrieben werden, wenn ich sie nur bald wieder zurück erhalte. Verziehen sey mir, daß ich dazu nicht schreibe.

6) Die verlangten Dissertationen, welche, weil sie mich gar sehr angezogen, diese Sendung verspäteten. Gegenwärtiges Exemplar senden Sie mir gefälligst zurück, vielleicht kann ich Ihnen diese interessanten Hefte in der Folge zum Eigenthum verschaffen.

7) Zwey Talismane, einen für Sie, den andern für den Schenken. Es sind die ersten uns bekannten Gebilde der entstehenden Welt; Trebra nennt sie crystallisirten Granit, ich mit ihm. Begreifen wird sie niemand, wer sie andächtig beschaut, ist sicher vor gemeinen Gedanken, das wahre Kennzeichen des Talismans!

Nicht ganz ein solcher schien mir das cölnische Taschenbuch, in welchem wohl hie und da ein Amulet steckt, im Ganzen kann ich jedoch trotz aller Frömmeley keine wahre Frömmigkeit, d.h. nicht Ernst noch Kritik [194] noch Methode darin findet. Behalten Sie diese Meinung für sich, wir überlassen billig das Übrige einer geliebten Lesewelt, so wie barmherzigen und unbarmherzigen Recensenten.

Da noch soviel Platz ist, so will ich gegen Ihre gedrängten und gehaltvollen Brief nicht allzu laconisch seyn; sondern erzählen, daß wir alte kirchliche Schnitzbilder in einem unserer acquirirten Landstädtchen entdeckt haben, in Ställe und alte Gewölbe verstoßen, doch leidlich erhalten. Von sehr großem Maaßstab, bis sechs Fuß Höhe und acht Fuß Breite, beynah ganz erhabne Figuren, gemahlt und geschmückt, auf Goldgrund aufgeschraubt und genagelt.

Über die Zeit ihrer Entstehung ist man uneins, ich suspendire mein Urtheil.

Zu den interessanten Besuchen gratulire ich. Des Herrn Dillis Aussagen bemerk ich mir. Das eigentliche Kunststück aber, das mit aufgegeben ist, bleibt immer: auszusprechen, worüber wir einig sind, alles Problematische abzuweisen, einen Grund zu legen, worauf Sie fortsammeln, studiren und sich unterhalten können. So ernst ich auch das behandle, so wird das sehr bald von der deutschen Vielmeinerey mit Schutt überdeckt werden, wie es mir mit allem ergangen ist, wo ich zu gründen suchte. Das rührt mich aber nicht, denn, wer des Feuers bedarf, sucht's unter der Asche. An diesem orientalischen Sprichworte sehen Sie, daß meine Verhältnisse nach Osten noch immer[195] bestehn. Meine Sehnsucht in diese Regionen ist unaussprechlich, und somit das herzlichste Lebewohl. Der Schlüssel folgt auch, den hätt ich wohl bewahren können: denn, wenn meine Sehnsucht nach Osten strebt, so liegt meine Hoffnung in Süd-Westen.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1815. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8D65-A