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An Thomas Carlyle
Fortsetzung
des mit der Post abgegangenen Briefes.

Sehen Sie Herrn Walter Scott, so sagen Sie ihm auf das verbindlichste in meinem Namen Dank für den lieben heitern Brief, gerade in dem schönen Sinne geschrieben, daß der Mensch dem Menschen werth seyn müsse. So auch habe ich dessen Leben Napoleons erhalten und solches in diesen Winterabenden und Nächten von Anfang bis zu Ende mit Aufmerksamkeit durchgelesen. Mir war höchst bedeutend zu sehen, wie sich der erste Erzähler des Jahrhunderts einem so ungemeinen Geschäft unterzieht und uns die überwichtigen Begebenheiten, deren Zeuge zu seyn wir gezwungen wurden, in ruhigem Zuge vorüberführt. Die Abtheilung durch Capitel [239] in große zusammengehörige Massen gibt den verschlungenen Ereignissen die reinste Faßlichkeit, und so wird denn auch der Vortrag des Einzelnen auf das unschätzbarste deutlich und anschaulich. Ich las es im Original, und da wirkte es ganz eigentlich seiner Natur nach. Es ist ein patriotischer Britte der spricht, der die Handlungen des Feindes nicht wohl mit günstigen Augen ansehen kann, der als ein rechtlicher Staatsbürger zugleich mit den Unternehmungen der Politik auch die Forderungen der Sittlichkeit befriedigt wünscht, der den Gegner im frechen Laufe des Glücks mit unseligen Folgen bedroht und auch im bittersten Verfall ihn kaum bedauren kann.

Und so war mir noch außerdem das Werk von der größten Bedeutung, indem es mich an das Miterlebte theils erinnerte, theils mir manches Übersehene neu vorführte, mich auf einen unerwarteten Standpunct versetzte, mir zu erwägen gab, was ich für abgeschlossen hielt, und besonders auch mich befähigte, die Gegner dieses wichtigen Werkes, an denen es nicht fehlen kann, zu beurtheilen und die Einwendungen, die sie von ihrer Seite vortragen, zu würdigen. Sie sehen hieraus, daß zu Ende des Jahrs keine höhere Gabe hätte zu mir gelangen können. Es ist dieses Werk mir zu einem goldnen Netz geworden, womit ich die Schattenbilder meines vergangenen Lebens aus den letheischen Fluthen mit reichem Zuge herauszufischen mich beschäftige.

[240] Ungefähr dasselbige denke ich in dem nächsten Stücke von Kunst und Alterthum zu sagen, wo Sie auch einiges Heitere über Schillers Leben und German Romance finden werden. Melden Sie mir die Ankunft des Kästchens und sagen Sie mir dabey, was Ihnen sonst zu Ihren Zwecken allenfalls wünschenswerth wäre; denn so schnell bewegen sich jetzt die Mittheilungen, daß mir wirklich die Anzeige von dreyßig deutschen Taschenbüchern für das Jahr 1828 im zweyten Bande des Foreign Review ein Lächeln abgewinnen mußte.

Wenn nun Bücher und Zeitschriften gegenwärtig Nationen gleichsam auf der Eilpost verbinden, so tragen hiezu verständige Reisende nicht wenig bey. Herr Heavyside hat Sie besucht und uns von Ihren Um-und Zuständen das Angenehmste berichtet, so wie er denn auch von unserm weimarischen Wesen es an Schilderung gewiß nicht fehlen ließ. Als Führer der jungen Hope's hatte er in unserm zwar beschränkten, aber doch innerlich reich ausgestatteten und bewegten Kreis glückliche Jahre nützlich verlebt; auch ist, wie ich höre, die Hope'sche Familie mit der Bildung zufrieden, wozu die jungen Männer hier zu gelangen Gelegenheit fanden. Es kommt freylich vieles hier zusammen, Jünglingen, besonders Ihrer Nation, vortheilhaft zu seyn; der Doppelhof der regierenden und Erbgroßherzoglichen Personen, wo sie allgemein gut und mit Freysinnigkeit aufgenommen [241] werden, nöthigt sie durch Auszeichnung zu einem feinen Anstand bey mannichfaltigen Vergnügungen. Die übrige gute Gesellschaft hält sie gleichmäßig in heiterer Beschränkung, so daß alles Rohe, Unschickliche nach und nach beseitigt wird; und wenn sie in dem Umgange mit unsern schönen und gebildeten Frauenzimmern Beschäftigung und Nahrung für Herz, Geist und Einbildungskraft finden, so werden sie abgehalten von allen den Ausschweifungen, denen sich die Jugend mehr aus langer Weile als aus Bedürfniß hingibt. Diese freye Dienstbarkeit ist vielleicht an keinem andern Orte denkbar; auch haben wir das Vergnügen, daß dergleichen Männer, die es in Berlin und Dresden versuchten, gar bald wieder hieher zurückgekehrt sind. Wie sich denn auch eine lebhafte Correspondenz nach Britannien unterhält, wodurch unsere Damen wohl beweisen, daß die Gegenwart nicht ausdrücklich nöthig ist, um einer wohlgegründeten Neigung fortwährende Nahrung zu geben. Endlich darf ich auch nicht unbemerkt lassen, daß vieljährige Freunde, wie z.B. gegenwärtig Herr Lawrence, von Zeit zu Zeit wiederkehren und sich glücklich finden, den schönen Faden früherer Verhältnisse ungesäumt wieder aufzufassen. Herr Parry hat einen vieljährigen Aufenthalt mit einer anständigen Heirath geschlossen.

Fortwirckender Theilnahme sich selbst, freundlicher Aufnahme die Sendung lebhaft empfelend

Weimar d. 15. Jan. 1828.

Goethe.
[242]
Inhalt
der gegenwärtigen Sendung.

1) Zweyte Lieferung von Goethe's Schriften, 6. – 10. Band incl.

2) Kunst und Alterthum, fünf Bände, des sechsten Bandes erstes Heft;

3) Vorwort zu Alexander Manzoni's poetischen Schriften;

4) Der 28. August 1827;

5) Hermann und Dorothea, für Madame Carlyle;

6) Ingleichen Almanach des Dames;

7) Auch ein Kästchen für dieselbe;

8) Ein Päckchen für Herrn Thomas Wolley – ein junger Mann, der vergnügte und nützliche Tage bey uns verlebte und in gutem Andenken steht, sich gegenwärtig in Edinburg befinden soll;

9) Sechs Bronze-Medaillen;

10) Fortsetzung des Schreibens vom 1. nebst einigen poetischen und sonstigen Beylagen im Couvert.

Weimar den 15. Januar 1828.

G.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Thomas Carlyle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8EF6-9