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An Christiane von Goethe

[Heidelberg, 27. September 1814?]

Sonnabend, d. 24. Um sechs Uhr von Frfurt ab bey einem frischen Nebel, der den Fluss und sodann auch aufsteigend und sich verbreitend die Gegend einhüllte. Wir kamen so nach Darmstadt, der Himmel [42] heiterte sich völlig auf, so daß wir die Bergstrase in ihrem ganzen Glanze genossen. Die Nüsse wurden eben abgeschlagen, die Birnen erwarteten ihre Reife. So ging es von Station zu Station ohne Aufenthalt, bis endlich Weinheim und zuletzt Heidelberg erreicht ward. Den Sonnenuntergang sahen wir noch von der Brücke. Bey Boisserees fand ich das lieblichste Quartier, ein großes Zimmer neben der Gemälde Sammlung. August wird sich des Sickingischen Hauses erinnern auf dem großen Platze, dem Schloss gegenüber. Hinter welchem der Mond bald herauf kam und zu einem freundlichen Abendessen leuchtete.

Sonntag d. 25. Begann die Betrachtung der alten Meisterwercke des Niederlandes und da muss man bekennen daß sie wohl eine Wallfahrt werth sind. Ich wünschte daß alle Freunde sie sähen, besonders habe ich mir Freund Meyer, zu meinem eignen und der Sache Besten, an die Seite gewünscht. Ich darf nicht anfangen davon zu reden; so viel sage ich nur daß die beyden Boisserées, mit ihrem Freunde Bertram, das grosse Verdienst des Sammlens und Erhaltens dieser Kostbarkeiten durch geniesbare Aufstellung und einsichtige Unterhaltung erhöhen. Sage Hofr. Meyer gewisse Phrasen bespotte man in diesem Cirkel wie bey uns. Ich besuchte Paulus, Thibault und Voß, fand alle drey wohl und munter. Gegen Abends erstiegen wir das Schloß, das Thal erschien [43] in aller seiner Pracht und die Sonne ging herrlich unter. Der Schein hinter den Vogesen her glüht bis in die Nacht. Ich ging zeitig zu Bette.

Montag. 26. Gestern war van Eyck an der Tages Ordnung heute sein Schüler Hemling. Um diese zu begreifen werden auch die Vorgänger in Betracht gezogen und da tritt ein neues Unbegreifliches ein. Doch lässt sich der Gang dieser Kunst auf Begriffe bringen, die aber umständlich zu entwickeln sind. Zugleich machten mir Voß, Thibald und Paulus Gegenbesuch, der sehr angenehm vor jenen Bildern angenommen und begrüßt werden konnte. Mittags aßen wir zusammen und ein muntrer junger Artzt, Professor Nees, speiste mit uns. Unter andern erzählte man Geschichten von der Juden Lebenslust und ihrer Freygiebigkeit gegen den Arzt. Nach Tische Fortsetzung der Bilder Beschauung und Verehrung Frau v. Humboldt mit Ihrer Familie war angekommen. Ein Spaziergang mit Boisseree und ein Besuch bey Frau von Humbold schloßen den Tag.

Dienstag den 27ten. Man setzte die Betrachtung nachfolgender Meister fort. Johann Schooréel, zeichnet sich aus, er soll der erste gewesen seyn der aus Italien die Vortheile der Transalpinischen Kunst herübergebracht. Seine Arbeiten setze, in ihrer Art, abermals in Erstaunen. Auf ihn folgt Hemskerck, von welchem viele Bilder, dem H, Mauritius gleich, den Meyer in Weimar, copirt v. Frl. v. Helwig, [44] gesehen. Zwischen alle diese setzt sich Lucas von Leyden hinein, gleichsam abgeschlossen für sich; er sondert sich auf eine eigne Art von seinen Zeitgenossen. Alle diese Bilder sind gut erhalten und meist von großem Format. Oft Altarblätter mit beyden Flügeln. Mittag bey Paulus, mit Voß und Familie. Abends Spaziergang, den Necker hinauf und zurück auf die Brücke.

Soviel für diesmal. Ich werde fortfahren mein Tagebuch zu senden. Theile dieses Blat Hofr. Meyer mit, schönstens grüsend, so wie alle Nächsten und Freunde.

G.
Raben fand ich hier, er wird nächstens
in Weimar eintreffen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Christiane von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-900E-8