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An Martin Heinrich Carl Lichtenstein

[Concept.]

[25. Juni 1829.]

Ew. Wohlgeboren

haben mit dem, durch Herrn Präsidenten Weyland mir übersendeten, wichtigen Hefte einen dringenden Wunsch erfüllt, Nachricht nämlich von der in Berlin zusammentretenden Gesellschaft deutscher Naturforscher immer näher und vollständiger zu erhalten. Zwar fand ich mich, durch das bisher bekannt Gewordene, nicht weniger durch mehrere Naturfreunde, die mich bey ihrer Rückkehr als einen alten treuen Zunftgenossen besuchten, um bestimmter zu reden: ich hatte von dem, was sich ereignet, einen allgemeinen Begriff, von dem, was geleistet worden, einzelne Nachrichten gewonnen.

[298] Nun aber gewähren Sie mir durch die geneigte Mittheilung gründlicher Ein- und Übersicht, und es ergibt sich dabey das vollständigere Resultat, daß Sie, der verehrte Präsident, und der ganze Complex theilnehmender Gönner aller Stände sowohl die Wissenschaft in ihren Repräsentanten als sich selbst geehrt und zwar auf eine Weise, die einzig bleiben und zugleich über die folgenden Versammlungen ein günstiges Licht und eine glückliche Einwirkung verbreiten wird.

Es war ein solches Ereigniß um so wünschenswerther, als niemand veraussehen kann, was für Vortheile die Mit- und Nachwelt von diesem nunmehr so glänzend eingeleiteten Congreß wird ernten können. Der deutsche Gelehrte, der deutsche Forscher mußte sich immer als ein isolirtes Wesen, als eine Privatperson fühlen; er wird hier genöthigt, sich als den Theil eines Ganzen zu betrachten, und obgleich dieses gewiß den meisten ungewohnt und unbequem erscheinen muß, so ist doch diese erste Nöthigung von so viel geistigen und sittlichen Forderungen begleitet, daß ein jeder, wenn er nach Haus kommt, sich in seinem löblichen Egoismus doch etwas anders fühlen muß.

Verzeihen Sie das viele, da wo so viel zu sagen wäre; das, worauf ich deute, sehen Sie klarer und vollständiger, und es würde mir Freude seyn, mich darüber mit Ihnen zu unterhalten.

Recht angenehm auffallend war mir, ich will es bekennen, die löbliche Ordnung, Klarheit und Zucht,[299] wie sich die sämmtlichen Herren hinter einander unterschrieben. Es gehörte eine gar wohl ersonnene Anstalt dazu, um so viele bedeutende Männer in solchen Schranken zu halten und zu erreichen, daß eine Classe, welche sonst wegen Übelschreibens berüchtigt war, hier durchaus als deutlich- und zum größten Theil als schönschreibend uns entgegen kommt. Die Vollkommenheit Ihrer lithographischen Anstalten mag denn auch wohl das ihrige beygetragen haben.

Sollt ich nun manches Einzelne, was bey Lesung Ihres werthen Heftes bey mir aufgeregt worden, freymüthig äußern, so würde ich nicht aufhören, da ich nicht einmal weiß, wie ich anfangen sollte. Lassen Sie mich also mit den treusten Wünschen für die Reise unsres vorzüglichen, edlen, trefflichen Mannes hiemit anschließen und erlauben Sie mir, den freylich nicht zu gewährenden Wunsch auszusprechen: ich möchte gar zu gern die in der großen Natur umherirrenden lebendigen Wesen, so wie Sie solche geordnet und aufgestellt, an Ihrer Hand mit Muße betrachten; ich würde dadurch für viele nicht zu unternehmende Reisen entschädigt und gewiß über manche Ahnungen aufgeklärt, die, unter den jetzigen Umständen, für mich unenthüllt bleiben müssen.

Mit gefühltester Hochachtung mich dankbar unterzeichnend.

Weimar den 21. Juni 1829.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Martin Heinrich Carl Lichtenstein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-933F-4