33/201.

An Georg Heinrich Ludwig Nicolovius

[Concept.]

Nur der Wunsch, beykommendes verspätete Heft zugleich mit zu übersenden, konnte meine Antwort zurückhalten auf das freundliche von Frau Hofrath Schopenhauer mitgebrachte Schreiben. Diese Zeit her fand sich jedoch ein Umstand, bey welchem ich Ihrer, verehrter Freund, oft genug zu denken hatte: vier werthe Männer von Berlin besuchten mich, und wieviel Gutes und Schönes ward nun durch eine solche Gegenwart, ein solches Zusammenseyn schleunig gefördert! was ist hier nicht alles zurückgeblieben und um wie viel lebhafter ist die Communication mit den Abgeschiedenen! Dieses nun kann ich nicht genießen, ohne zu bedauern, daß Verhältnisse Ihnen nicht vergönnt, uns im laufenden Jahre zu besuchen; das Wünschenswerthe einer solchen Annäherung ist mir lebendiger als je.

Deswegen habe ich auch meinem Freunde Meyer einen Gegenbesuch von Herzen gegönnt, er wird in allem Sinne bereichert zurückkehren. Sie sehen diesen würdigen Mann gewiß auch mit Freuden wieder.

[278] Was für eine Thätigkeit und Leben jene werthen Gäste in meine Einsamkeit gebracht, wie aufgeregt sie mich zurückgelassen, ist nicht zu sagen, freylich kann ich nur mit kleinen Heften diese Masse von Gutem einigermaßen erwidern.

Möge Ihnen in beyliegendem einiges anmuthen, so auch in dem bald folgenden morphologischen; es ist eine wunderliche Aufgabe, das Vergangene zu redigiren und im Gegenwärtigen zu wirken. Das meiste von den naturhistorischen Arbeiten liegt freylich etwas weit hinter mir, und verwundere mich oft selbst über den leidenschaftlichen Antheil an Dingen, die mich jetzo, zwar nicht kalt, aber doch ruhig lassen.

Was mich aber in diesem Geschäft belebt, ist der Antheil jüngerer Männer, welche auf gleichem Weg wandelnd, mich in ihre Gesellschaft wieder von frischem fortziehen.

In eben dem Sinne erwart ich Hamanns Werke mit Verlangen. Die Entwickelung, die mir durch ihn geworden, die Sicherheit, auf dem einmal eingeschlagenen Wege weiter zu gehen, die er uns zu bedenklicher Zeit verliehen, würde mich auf's neue ansprechen und mir schöne Tage vergegenwärtigen.

Mögen Sie von Zeit zu Zeit mir einiges mittheilen, was der inneren und äußeren Regsamkeit nachhilft, so werden Sie mich auf's neue verpflichten.

Der geistreichen Kupferblätter wird in dem nächsten Hefte freundlich gedacht. Sie geben zu neuen [279] Betrachtungen Anlaß, wie das Talent sich in vergangene Zeiten setzen, Gesinnung und Sitte, Neigung und Geschmack seiner Urväter sich aneignen könne.

Gegenwärtiges erlasse am Schluß meines jenaischen Sommeraufenthaltes; er hat mir, wie gewöhnlich, die verschiedensten Arbeiten gefördert, so daß ich auf Ostern meinen Gönnern und Freunden schon wieder einiges vorlegen kann.

Meine Schwiegertochter hat mir einen gesunden starken Enkel gebracht, dabey aber von ihren eigenen Lebenskräften soviel zugesetzt, daß die großväterliche Freude am neuen Leben gar sehr gedämpft wird.

Gar sehr wünsche, bald wieder von Ihnen, verehrter Freund, von den lieben Ihrigen, besonders auch von dem guten Königsberger das Beste zu vernehmen.

Da ich diese merkwürdige Stadt nenne, von daher so viel Bedeutendes über Deutschland ergangen, so kann ich mich nicht enthalten, ein romantisches Gedicht Olfried und Lisena, in Stanzen und zehn Gesängen, von August Hagen bestens zu empfehlen. Der Dichter ist sehr jung, man muß es daher in gewissem Sinne nicht allzu genau mit ihm nehmen. Er vereinigt mit dichterischem Verdienst auch das sittliche, und man freut sich, in seiner Arbeit keinen der Fehler zu finden, die man an unserer Jugend bedauert.

Jena den 2. October 1820.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An Georg Heinrich Ludwig Nicolovius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9351-9