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An Carl Ludwig von Knebel

Ob ich gleich, wie man mir zu vernehmen giebt, mit den Wiener Herrlichkeiten nicht ganz gut bey dir angekommen bin, so will ich es doch wagen, dir abermals ein Heft zu senden, das auch theilweise bedenklich ist, aber doch vielleicht theilweise dein Gefallen erregt. Wenn du es wiedersendest, erhältst du ein anderes, das sehr lesbar und unterrichtend ist, die Fortsetzung von Schlegels Vorlesung. Der Streit den das französische Theater schon über 100 Jahre mit sich selbst und andern Nationen führt, wird hier auf eine sehr kenntniß- und geistreiche Weise auseinandergesetzt. Wird dieß Werk ins Französische übersetzt, so muß es gute Wirkung thun: denn unter den Franzosen sind gleichgesinnte, die aber freilich nicht auftauchen können.

Die Gegenwart des Herrn v. Humboldt hat dir gewiß auch viel Freude gemacht. Wirwar sie belehrend und aufmunternd. Ich erfuhr genauer, wie es im Preußischen mit dem Erziehungs- und Wissenschaftlichen Wesen aussieht und was man davon hoffen darf. In der jetzigen Lage hätte man vielleicht keinen Mann gefunden, der sich zu Restauration so gut geschickt hätte als er.

Er hatte die Artigkeit in den wenigen Stunden, die ihm übrig blieben, meine Farbenlehre und was [161] dazu gehört zu durchlaufen und schien, da ihn der Inhalt eigentlich nicht interessiren konnte, mit der Behandlung und Methode wohl zufrieden. Der erste Band ist nun schon bis zum 39. Bogen gelangt, der zweyte bis zum 30. Und ob ich gleich dem Ende nunmehr entgegensehe, so habe ich doch bis Ostern noch voll auf zu thun. Ich hoffe daß dieses Werk wenn es zu Stande ist, auch dir zur Zufriedenheit gereichen soll. Anders kann ich bis dahin nichts vornehmen.

Von Voigt aus Paris habe ich einen kurzen, aber verständigen Brief. Er geht auf seine Weise unverrückt fort und sieht nun deutlich genug, daß er eigentlich dort aufs Wissen auszugehen hat: denn was das Räsonnement betrifft, darin werden Deutsche und Franzosen wohl nie zusammentreffen.

Wenn ich deinen Saul noch liegen lasse, so verzeihst du mir. Unsere Theaterfreunde haben dazu kein Vertrauen fassen wollen, so daß ich das Stück auf den Geburtstag nicht wagen konnte. Bey genauer Überlegung fast unerläßlich ist, die Gesänge Davids, wenigstens nach Art der Melodramen, mit Musik zu begleiten, und eine solche Composition ist eine sehr schwere, nicht leicht zu lösende Aufgabe; doch habe ich nach Bianca della Porta und Zaire an die Reihe zu bringen.

[162] Dein Carl hat die letzten Köpfchen sehr gut und lobenswürdig nachgeahmt. Wenn er so fortfährt, so wird es ihm wohl gelingen. ich schicke ihm heut wieder einiges. Nächstens aber größere Dinge, damit er nach und nach aus dem engern Wesen herauskommt. Nur müßte man sehen, wie man ihm größere Pinsel verschaffte. Besonders mag er immer mehr auf Licht und Schatten acht geben, Licht und Halblicht. Schatten und Halbschatten von einander gehen. Lebe recht wohl und gedenke unser.

Weimar den 10. Januar 1810.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1810. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-93B7-5