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An Caroline von Wolzogen

Das mir geneigtest anvertrauen Manuscript liegt schon einige Tage neben mir ich habe hineingesehen und mach dabey eine Erfahrung von der man sich in jüngern Jahren nichts träumen läßt, ich finde ganz unmöglich es durchzulesen, und werd es Ihnen leider ohne Weiteres zurückzuschicken müssen. Durch diese Empfindungen werd ich nur aufmerksamer auf das was mir schon einige Zeit her begegnet, daß ich nämlich in's längst Vergangene nicht zurückschauen mag. Mit dem abgedruckten Briefwechsel geht es mir eben so, er macht mir eher eine traurige Empfindung, die, wenn ich sie mir verdeutlichen will, sich ohngefähr dahin auflöst, daß in hohen Jahren, wo man mit der Zeit so haushältig umgehen muß, man über sich und Andere wegen vergeudeter Tage höchst ärgerlich wird.

Jenes Manuscript laß ich daher noch kurze Tage bey mir liegen, theile Meyern obige Bemerkung mit, und läßt sich das Gefühl durch Reflexion nicht beschwichtigen, so erhalten Sie die Hefte ungesäumt zurück, mit höchst dringender Bitte um Verzeichnung eines unerwarteten Seelenereignisses, dessen ich nicht Herr werden kann.

Erhalten Sie, verehrte Freundin, mir ein unschätzbares Wohlwollen und setzen Sie Ihre aufmunternde[86] Theilnahme an demjenigen fort, was ich allenfalls noch anbieten und überliefern könnte.

Mich angelegentlichst empfehlend

treu angehörig

J. W. v. Goethe.

Weimar den 29. September 1829.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Caroline von Wolzogen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-93DC-2