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An Ludwig Achim von Armin

[Concept.]

[23. Februar 1814.]

So wie die Pausen eben so gut zum musicalischen Rhythmus gehören als die Noten, eben so mag es auch in freundschaftlichen Verhältnissen nicht undienlich seyn, wenn man eine Zeitlang sich wechselseitig mitzutheilen unterläßt. Strebende Menschen, von welchem Alter sie auch seyen, können nicht immer parallel neben einander gehen; will man sich nun gar beständig bey der Hand halten, so entsteht daraus ein hin und wieder zerren, beyden Theilen unbequem und retardirend wo nicht schädlich.

Lassen Sie mich also wieder einmal nach geraumer Zeit auf Ihre Sendung etwas erwidern. Die Vorzüge dieser kleinen Stücke haben mir als einem Schauspieldirector abermals die unangenehme Empfindung gemacht, daß talentvolle Männer nicht die [175] Beschränkung des Theaters berücksichtigen wollen, und ein für allemal verschmähen, in den nothwendigen, unerläßlichen und so leicht zu beobachtenden Formen ihr Gutes mitzutheilen. Wie manches Geistreiche, Herzerhebende brächte man da unter das Volk, das man jetzt immer mit seiner eigenen Gemeinheit füttern muß.

Geistreiche Autoren würden durch diese geringe Beengung sich leise gewarnt fühlen; sie würden nicht, wie jetzo meist geschieht, ehe man's sich versieht nach allen Seiten hin transcendiren; sie würden gar bald gewahr werden, worüber der Mensch lachen und weinen, wobey er empfinden und denken mag. Das Seltsame wäre ein recht hübsches Ding, wenn es sich nur selbst zu regeln wüßte.

Das angedeutete Stück wäre wohl aufführbar; in meiner Lage aber bemerke ich folgendes. Alles, was auf den Augenblick anspielt und so die Gemüther stoffartig erregt, habe ich immer vermieden, nicht weil ich es im Ganzen für unzulässig halte, sondern weil ich gefunden habe, daß der Enthusiasmus eigentlich nur die große Masse wohl kleidet. Man muß sich einander unbekannt seyn, und sich nur zusammenfühlen, wenn man sich zusammen erwärmen, ja erhitzen will. Geschieht dieß unter Bekannten, so leidet immer der eine Theil, indem der andere sich freut.

Sodann auch ist das ungeheure Siegesglück auf's schnellste soweit vorgeschritten, daß wir auf heftige Incentive nicht mehr zu denken brauchen. Das Beharren [176] in Thun und Leiden ist es eigentlich, was wir schon jetzt der Masse zu predigen haben. Das andre hat sich alles von selbst gegeben und wir brauchten jetzt gar keine Worte mehr, um mit wenigem Anstoß noch einen großen Theil unsrer Bevölkerung über den Rhein zu treiben.

In den beyden mitgetheilten Zeitungsblättern finde ich guten Sinn und Ton; das über Arndt Gesagte so freundlich als gründlich. Etwas Ähnliches möchte ich wohl über das neue Bestreben vernehmen, durch welches die aus einer Knechtschaft kaum entronnenen Deutschen sich schnell wieder in die Fesseln ihrer eigenen Sprache zu schmieden gedenken. Indem ich diesen Dingen nur zusehen kann, so ist mir nichts angenehmer, als von anderen zu hören was ich gern selbst sagen möchte. Möge Ihnen, da Sie nun wieder in den Ihrigen und mit den Ihrigen ruhig leben können, leicht werden die Nachwehen einer so schmerzlichen als glücklichen Cur zu überstehen und Ihren Kleinen ein doppeltes und dreyfaches Erbe, der Güter des Talents und der Gesinnung.

Weimar den 22. Feb. 1814.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Ludwig Achim von Armin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9444-0