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An Christiane von Goethe

[Darmstadt, 10. October 1814.]

Donerstag d. 6ten Octbr. Hatte Boisserée Copien der Orignalrisse der vorzüglichsten Thürme und Kirchenvorderseiten an die Wände gesteckt und ging solche mit mir durch, nach den Jahren und Eigenschaften. Gleichfalls waren, zu diesem Zweck, [53] vielerley Wercke und Kupfer zur Hand, an welchen man den Gang der Kunst gleichfalls beobachten konnte. Dieses lehrreiche Studium beschäftigte uns den ganzen Morgen. Graf Hochberg besuchte mich und trug mir einen Grus an August auf. Zu Tische waren Herr v. Wamboldt und Just. R. Martin. Nach Tische stiegen wir, durch einen nach dem Rheinthale zu gelegnen Garten, des Herrn v. Smidts, gelangten bis zu den Riesensteinen, welches herabgestürtzte ungeheure Sandsteinblöcke sind. Sahen einen, zwar verhüllten, doch schönen Sonnenuntergang und stiegen herab in das Wohnhaus, welches Fr. v. Munck gegenwärtig bewohnt, ihr Gemahl ist in Carlsruhe. Sie erinnerte sich sehr freundlich der Gefälligkeit welche August für sie gehabt, und trug mir Grüße an ihn auf. Abends las ich noch etwas von Thibaut und bewunderte abermals seine Einsichten.

Freitag d. 7. Octbr. Thibauds Arbeit zu Ende gelesen. Mit Boisserée Fortsetzung gestriger architecktonischer Betrachtungen. Prof. Voß dachte mir die neue Ausgabe des Homers zum Geschenck. Sprach von Griesens Calderon. Zu Prof. Thibaut, zu Herrn v. Reizenstein, zu Paulus. Zu Tische waren: Kirchner. Abegg,

Eine Promenade gegen das Carlsthor dauerte nicht lange, ich studirte zu Hause das Gesehne und Gehörte durch. Dann ward beschlossen Sonntags von hier ab nach Darmstadt zu gehen. Abends saßen [54] wir abermals in den Bilderzimmern beysammen, beleuchteten einen wundersamen Lucas von Leyden, so dann den größeren Hemmling, lasen einige Lebensbeschreibungen der Mahler und schieden vergnügt. Es ist gerade Zeit das ich von hinnen gehe. Fürs erstemal ist es genug, nun müßte man wieder von forne zu weiterer Ausführung anfangen.

Sonnabend d. 8ten. Noch einiges Architecktonische. Dann Spaziergang den Necker aufwärts, rechts hinauf zum Wolfsbrunn. Mittag für uns. Dann zu Voß, den ich wegen Beharrlichkeit in seinem Übersetzungswesen bewundern mußte. Zu Paulus wo eine ganz muntre Zeit verbracht wurde. Zu Hause machte der Frau Amtmann, deren Zimmer ich eigentlich bewohne, Besuch, und hörte recht gut und schön Reicharts Compositionen meiner Lieder singen.

Hofr. Thibault war später noch bey uns zu einigem warmen Bischoff, da denn manches durchgesprochen wurde. Ungern nahm man Abschied von den Zimmern in denen so viele Schätze augenfällig, andre verhüllt stehen. Sie sind in der Gegenwart so vollkommen daß man wünschen muß sie immer wieder zu sehen. Einige lästige Besuche waren abgeleitet worden, aber manches gute wiederholt und so war diese Epoche abgeschlossen.

Sonntag d. 9ten. Früh sechs Uhr von Heidelberg beym schönsten SommerMorgen abgefahren. Bey Weinheim war die Gegend köstlich. In Heppenheim[55] frühstückten wir. In Darmstadt kamen wir gerade zur Table d'Hote. Nachher spazirte ich mit Schlosser durch die ebne staubige Stadt. Mancherley kam zur Sprache. Abends war der Wasserträger gegeben. Das Orchester ist ganz fürtrefflich, die Sänger gut, das Haus geräumig, die Zuschauer still und aufmercksam. Applaudirt wird wenig.

Und nähere ich mich denn immer wieder meinem Ziel bald bey Euch zu seyn. Heute Montag d. 10ten besehe ich hier die Museen, gehe an den Hof und gedencke morgen in Franckfurt zu seyn, wo ich Nachrichten von Euch zu finden hoffe, die ich so lange entbehre. So mit lebet wohl. Das Wetter ist sehr schön aber kalt; doch ist auf der Reise das Trockne am wünschenswerthesten. Lebet wohl!

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Christiane von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-96B0-A