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An Charlotte von Stein

[Ostheim] d. 18. [September] Abends.

Nur dass ich im Zusammenhang bleibe eine gute Nacht. Wir sind in Ostheim unter viel Cärimonien angekommen, es hat sich alles ausgepuzt und in eine Reihe gestellt. Die Kinder sahen gar gut aus.

Ich hab einige Tage her pausirt im Schreiben, einmal weil ich zu wenig, und dann weil ich zu viel zu sagen hatte. Gott giebt mir zur Buse für meine eigne Sünden die Sünden andrer zu tragen. Und in meinem immer bewegten Zustand, beneid ich den der mich um etwas bittet und dem ich durch eine kleine Gefälligkeit seine Wünsche ausfüllen kan und selbst niemand habe der mir – doch ich will nicht [294] ungerecht und undanckbaar seyn. Gute Nacht Gold. Wäre ich mein eigner Herr heut früh gewesen, so hätt ich mich zum Ochsentreiber gesellt und hätte Ihnen die Thiere überbracht. Adieu.


d. 20. früh.

Gestern haben wir die Wiesenverbesserungen gesehen die Baty bey drey Dorffschafften besorgt hat. Er rührt sich recht, und wird noch vor Winters manches zu Stand bringen. Das schöne Wetter ist mit Wolcken und Nebeln auf einmal überzogen worden, die Berge brauen und es ist kein Heil mehr. Meine Natur schliesst sich wie eine Blume wenn die Sonne sich wegwendet.


d. 21ten.

Ihr liebes Blat vom 12ten bis zum 16ten empfang ich heut. Morgen gehts auf Meinungen wo sich denn das Theater verändern wird. Lang kans auch nicht währen und hernach hab ich nur Einen Plan dessen Ansicht mich beschäfftigt und vergnügt. Der Steine von Thüringen hab ich nun satt, das vorzüglichste kenn ich und das übrige lässt sich schliesen oder von andren hören.

In bürgerlichen Dingen, wo alles in einer gemessnen Ordnung geht, lässt sich weder das Gute sonderlich beschleunigen noch ein oder das andre Übel herausheben, sie müssen zusammen wie schwarz und weise Schaafe Einer Heerde unter einander zum Stalle herein und hinaus. Und was sich noch thun liese, [295] da mangelts an Menschen, an neuen Menschen, die doch aber gleich auf der Stelle ohne Misgriff das gehörige thäten.

Mit der Nürnberger Reise ists nichts, die Herzoginn geht mit Oesern nach Manheim. Also seh ich Sie bald wieder. Ich sehne mich nach Hause wie ein Krancker nach dem Bette. Wenn die Wolcken über der Erde liegen sehnt man sich nicht hinaus.

Ich mögte iezt etwas recht artigs für Sie und Ihre Misels haben! Nichts Fremdes ist eingelaufen, und heute stockts in meinem eignen.


Abends.

Da ich zu Wercke ging Ihnen und Ihren Misels ein hübsch und neu Lied auf zu schreiben, kam der Herzog und wir stiegen, ohne Teufel oder Söhne Gottes zu seyn, auf hohe Berge, und die Zinne des Tempels, da zu schauen die Reiche der Welt und ihre Mühseeligkeit und die Gefahr sich mit einemmal herabzustürzen. Nachdem wir uns denn ganz bedächtlich entschlossen Stufenweis von der Höhe herabzusteigen und zu übernehmen was Menschen zugeschrieben ist, gingen wir noch in den anmutigen Spaziergängen heroischer Beyspiele und geheimnissvoller Warnungen herum, und wurden von einer solchen Verklärung umgeben dass die vergangene und zukünftige Noth des Lebens, und seine Mühe wie Schlacken uns zu Füssen lag, und wir, im noch irrdischem Gewand, schon die Leichtigkeit künftiger seeliger Befiederung, [296] durch die noch stumpfen Kiele unsrer Fittige spürten.

Hiermit nehm ich von Ihnen Abschied, und möchte gern in den feuchtlichen Gängen um Ihre Fenster heut Abend erscheinen.

Der Recktor bringt eine Serenade, das Volck jauchzt über seines Landesherrn Gegenwart, und alle alte Übel werden, wie die Schmerzen eines Gichtischen nach einer Debauche, in unzähligen Supplicken lebendig.

Hier wieder eine Lücke die durch ein langes Gespräch mit dem Herzog verursacht wurde das so lebhafft und luminos war als das vorige. Worinn einiger guten Wercke Rechenschafft gegeben, und ein neues zu stande gebracht wurde, und so ein fröhliges Ende eines sonst elenden Tags.

Gute Nacht Gold ich möchte im dreyfachen Feuer geläutert werden um Ihrer Liebe werth zu seyn. Doch nehmen Sie die Statue aus korinthischem Erz, wie der Engel Ithruriel, um der Form willen an. Denn es kan Sie ein bessrer nicht besser lieben.

Grüsen Sie was um Sie artig ist. Lingen verliert etwas dass dieses Blat No 12 nicht mit Versen angefüllt ist, es war ihr verschiednes zugedacht, womit sie ihr Kopfküssen hatte parfümiren können.

Grüsen Sie Carlen und die andern.

Dies Blat geht über Ilmenau. Adieu.

G. il penseroso fedele.

[297]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1780. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-96B6-D