6/1944.

An Charlotte von Stein

[Eisenach] Mittwoch d. 9ten Jun. 84. Abends.

Werde es nur nicht müde zu hören daß mir deine Abwesenheit unerträglich ist und daß ich den Tag über tausend närrische Einfälle habe um dich zu sehen.

Heute habe ich bey den Felsen den ersten Besuch abgelegt und bin davon wohl zufrieden, es werden [294] mir auf dieser Reise allerley Lichter aufgehen, man muß nur suchen und immer wiederkommen.

Unsre Geschäffte gehn einen leidlichen Gang, nur leider aus nichts wird nichts. Ich weis wohl was man statt all des Rennens und Laufens und statt der Propositionen und Resolutionen thut sollte.

Indessen begiest man einen Garten da man dem Lande keinen Regen verschaffen kann.

Wie eingeschränckt ist der Mensch bald an Verstand, bald an Krafft, bald an Gewalt, bald an Willen.

Die Stunden die dein gehören bring ich alleine zu; so freundlich mir die Menschen sind kann ich doch nichts mit ihnen verkehren. Ich binn nun eingewöhnt und verwöhnt dir anzugehören und bin auf diesen Punckt abgeschnitten, das heist nach Lavaters Terminologie so gut wie wahnsinnig.

Heute habe ich ganz köstliche Weege durchwandelt nicht ohne Beschweerde, und habe wie immer bey iedem schönen Gegenstande dich mir herbeygewünscht.

Leider würdest du, wenn du auch hier wärest die meisten nicht sehen können.

Durch den italiänischen Improvisator belebt hab ich im Spazieren versucht auch aus dem Steegreife Verse in deutscher Sprache hinzugiesen, es hat ungleich mehr Schwierigkeiten, doch müsste es auch, mehr oder weniger gehn, wenn man sich drauf legte.

Kannst du dir denn nichts ersinnen uns hier zu besuchen.


[295] d. 10. Jun. 84.

Heute habe ich einen angenehmen Tag zugebracht. Die Herzoginn ist mit der Wedel allein nach Wilhelmsthal ich bin zu Mittage hinausgeritten und komme erst iezo halb eilfe zurück. Erst fand ich den Prinzen von Barchfeld und dann waren wir allein. Sie war anmutig und offen, und ich konnte mit ihr reden wie ich mit dir rede, einige Punckte ausgenommen die deine Regalien sind.

Unsre Geschäffte scheinen einen schnelleren Gang zu gehen als wir hofften, doch will ich mich nicht zu frühe erheben, ich habe es schon öffter erlebt daß sie sich wieder in's weite lenckten. Fritsch will gerne auf sein Gut und befördert also was er kann. Ich mag mir gar nicht dencken wie glücklich ich wäre. Gute Nacht.


d. 11. Jun.

Ich habe dir noch nicht gesagt daß die Bechtolsheim, die so gesund aussah als sie uns das letztemal verlies, sehr kranck niedergelegen. Sie bessert sich. Es thut mir leid um sie daß sie die ganze schöne Hofepoque auf dem Bette verpassen muß.

Man sagt mir ich könne in 31 Stunden in Franckfurt seyn, und ich kann nicht den flüchtigsten Gedancken haben dorthin zu gehn. So hast du meine Natur an dich gezogen daß mir für meine übrigen Herzenspflichten keine Nerve übrig bleibt.

Mit der fahrenden sende ich dir allerley Sachen, [296] besonders einen Traum von Fritz Stolberg in Hexametern. Ein recht himmlisch Familienstück. Man muß sie kennen, sie zusammen gesehen haben um es recht zu geniesen.

Mein Himmel ist einsamer, du machst den ganzen Kreis desselben aus.

Du glaubst nicht wie Schreibfaul ich bin, an dich allein mag ich schreiben wie ich allein mit dir reden mag. Wenn ich mit andern selbst vernünftigen Menschen spreche, wie viel Mittel Töne fehlen die bey dir alle anschlagen. Alles was die Menschen suchen habe ich in dir.

Major Niebecker dessen du dich von Alters vielleicht erinnerst, er wohnte hier, hatte drey Töchter die sich durch Sonderbarkeiten auszeichneten, erbt einen verwandten in Paris, der ihm im gewissen dreymalhunderttausend Thaler hinterlässt, andre sprechen gar von 2 Millionen Livres. Die Famielie hatte wenig Hoffnung zur Erbschafft dieses Mutterbruders, der ihnen im Leben wenig Guts erzeigte, und von dem man glaubte er habe von einer Maitresse Kinder die er zulezt für die seinigen erklären und ihnen das Vermögen zu wenden würde.


d. 12ten.

Heute haben wir eine mineralogische Spazierfahrt gemacht und uns auf gut bergmännisch wacker erlustigt. Der einfache Faden den ich mir gesponnen habe, führt mich durch alle diese unterirdische Labyrinthe gar [297] schön durch, und giebt mir Übersicht selbst in der Verwirrung.

Ich möchte dich nur immer von meiner Liebe unterhalten. Wie einsam ich bin lässt sich nicht mit Worten ausdrucken. Ich sehe niemand, und wenn ich iemand sehe ist nur eine Gestalt von mir in der Gesellschafft.

Ich ging in die Commödie nur um Menschen zu sehen, und konnte zuletzt nicht mehr bleiben, das Stück war unendlich, und mein Vorrath Communikabilität alle aufgezehrt.

Stein sagt mir er habe Briefe von dir, ich habe noch keine heut, noch hoff ich immer darauf, es wäre mir gar zu betrübt wenn ich leer ausgehn sollte, und du über deiner Wirthschafft und Häuslichkeit mich vergäsest.

Fritzen geht es sehr wohl. Er ist mit soviel neuen Gegenständen umgeben mit denen er spielen kann, mag und darf.

Lebe wohl meine Lotte, ich darf nicht weiter schreiben, denn der Brief muß auf die Post. Lebe wohl, Liebe mich, Sage mir's und mache mich in dir glücklich. Wie befindest du dich? Es fällt mir manchmal ein du könntest nicht wohl seyn. Adieu.

G. [298]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1784. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-96ED-6