19/5428.

An Carl Ludwig von Knebel

Diese Zeit über habe ich immer gehofft, meine Jenaischen Freunde zu besuchen. Indessen haben mich manche Theater-Sorgen und Besorgungen, darauf des Herzogs Krankheit und das böse Wetter abgehalten. Nun bin ich in allerley Arbeiten gerathen, die ich nicht unterbrechen mag. Dank daher, daß du mich etwas von dir hören lässest.

Den Prolog, oder vielmehr das Vorspiel, sende ich hierbey, und bitte nur, daß du es nicht aus Händen gebest, auch mir dasselbe Sonnabend wieder zurücksendest.

Leider erhältst du nur den Theil, der in Worten verlaßt ist und auf das Papier gebracht werden kann. Alles, was auf den sinnlichen Effect berechnet war, geht ab; und so bleibt es nur Stückwerk. Die theatralischen Contraste, die hier aufgestellt wurden, lassen sich durch die Einbildungskraft nicht nachbringen. Der furchtbare, bis zum Gräßlichen gesteigerte erste Theil schloß sich, indem eine heitere Steinerscheinung Jeden erfreulich erinnerte, was man unserer vortrefflichen Fürstin vor'm Jahre schuldig geworden, an die zweyte glänzende und prächtige Hälfte durch einen sanften Übergang gefällig an; und die hülfreiche ordnende Erscheinung der Majestät war nicht ganz unerwartet. Der gefällige Friede stellte [425] sich dem Ernst anmuthig entgegen; und dadurch daß die vier Personen durch zwey Schauspielerinnen vorgestellt wurden, welche nur die Kleidung und den Ausdruck ihres Vortrags geändert hatten, erhielt das Ganze für den äußern und innern Sinn eine erquickliche Einheit. Wie denn auch das Andenken an die Herzogin Mutter am Schlusse die treuen, Ihr ergebenen Herzen mit sanfter Rührung entließ.

Ich freue mich, durch diese extemporirte Arbeit, denn ich habe sie in acht Zagen von Grund aus erfunden und verfertigt, durchaus einen guten Eindruck hervorgebracht zu haben. Ich wünsche, daß du beym Lesen und Vorlesen etwas ähnliches empfinden und erregen mögest.

Jacobi's Rede sollst du auf den Sonnabend erhalten. Es ist ein Wort zu seiner Zeit, ob sich gleich in mancher Rücksicht dabey manches erinnern läßt. Man muß sich in die Lage setzten, in der er sie schrieb, und die Verhältnisse beachten, die ihn umgeben.

Deine Pindarischen Übersetzungen wollen wir treulich beherzigen und dagegen einiges erwiedern. Den besondern Abdruck einer Humboldtischen Übersetzung habe ich besessen. Vielleicht findet sie sich und so soll sie gleich aufwarten.

Möchtest du mir wohl eine Abschrift der Stelle des Lucrez über die Farben von dem Vers an


»Oder aus jeglicher Farbe, mit welcher es gänzlich im Streit steht,«


[426]

bis zu Ende überschicken. Denn bis zu gedachtem Vers ist abgedruckt. Weil ich aber eine gar zu lange Pause gemacht habe, so weiß ich nicht, wo das übrige Manuscript hingekommen ist. Ich will nun fortfahren und diesen historischen Theil etwas weiter schieben. Meyer hat einen gar schönen Beytrag gegeben, die Geschichte des Colorits bey den Griechischen Malern betreffend, meist nach Plinius. Ich bin nun beschäftigt, einige Betrachtungen über die Farbenlehre der Alten aufzusetzen, und dann über die Kluft des Mittelalters bis zur neuern Zeit herüberzuspringen. Es ist freylich noch gar zu viel, was zu thun ist.

Nun noch einen kleinen Auftrag. Möchtest du mir wohl bey Hertels ein Stammbuch von kleinem Format und gutem Papier ausnehmen und herüberschicken. Ich wünsche ein solches Taschenbüchelchen wieder zu haben, das man zu sich steckte, um von Zeit zu Zeit etwas hineinzuzeichnen. Vor'm Jahr nahm ich dort eins, das recht gätlich war, nur war das Papier schlecht. Veranlasse zugleich Hertels, daß sie mir eine Rechnung machen: denn ich bin von vor'm Jahr her noch etwas schuldig. Grüße die Deinigen und die Hausfreunde. Ich wünsche mir einige ruhige Tage bey euch, um vor Herrn Seebecks und Voigts Arbeiten genießen zu können. Lebe recht wohl, gedenke mein, und laß manchmal von dir hören.

Weimar den. 7. October 1807.

G. [427]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1807. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-97AA-1