[118] 24/6717.

An Carl Ludwig von Knebel

Auf deine liebe Sendung erwidere kürzlich das Nothwendigste.

1. Die von Voigt zugesagten Notizen über die Zinnformation vermisse ich in dem Fascikel, um so unlieber, als jeder Beytrag mir höchst angenehm ist.

2. Unserem trefflichen Gries kann ich nicht verdenken, daß er der einmal ergriffenen Dichtungsart, die so würdig ist, treu bleiben will. Sein Leben ein Traum weiß ich um so mehr zu schätzen, da mir, wie schön es unsere Vorarbeiten zu übertreffen gewußt hat, buchstäblich gegenwärtig ist.

3. Die Paste, die ich noch behalte, ist himmelweit von der von der Nemesis verschieden; sie stellt vor: einen nicht übelgedachten, aber wild und plump ausgeführten Genius/Amor; die Rechte hält den Bogen, und das Keulenartige in der Linken soll wohl der Pfeil seyn. Näher betrachtet könnte es auch wohl für einen Zweig gelten, von welchem ein Genius die Spitze als Frucht abbricht. Noch ein anderer Beobachter könnte behaupten, er habe eine Schlange mit beyden Händen gefaßt und derselben gelähmtes Haupt hänge herunter. Hier bist du also, mein werther Freund, nicht besser dran, als wenn du Notas variorum über eine dunkele Stelle zu Rathe ziehst. [118] Ich will das wunderliche Document noch bey mir behalten und dir zunächst davon Rechenschaft geben.

Auf alle Fälle ist es keine Nemesis. Von dieser würde ich dir sogleich einen schönen Abdruck schicken, wenn ich mich nicht fürchtete in die Kälte zu gehen, und niemand anders hier an meiner Statt suchen und finden kann; nächsten Mittwoch hoffe ich damit aufzuwarten. Ad vocem Nemesis muß ich fragen, ob du die Anzeige in der allgemeinen Literatur-Zeitung und die darin aufgestellten Grundsätze wegen Beurtheilungen der neueren Kriegs- und Staats-Schriften beachtet hast. Wollte Gott unser braver Luden hätte diesen Weg eingeschlagen, so könnte man sich an seiner Bemühung freuen und Theil daran nehmen. Wieviel hat sich in diesen vier Wochen geändert, und wie wenig paßt die damals gerechte Wuth gegen die fliehenden Feinde, zu den jetzigen Erklärungen der Krieg führenden Mächte, welche Schonung und Mitleid aussprechen. Dießmal werden wir doch recht kräftig belehrt, wie schwach und unzeitig das Reden der Einzelnen in prägnanten Momenten sey, von denen man eine gänzliche Umwälzung zu erwarten hat.

4. Vergnüglich nunmehr, nach Anlaß deines Briefes, zur Geologie zurückkehrend, nehme ich dein Anerbieten dankbar an und bitte mir etwas von dem Fichtelberger Zinnsande, nebst näherer Bemerkung des Ortes, wo wir ihn aufgenommen, baldigst zu senden. Die hübsche Bemerkung unsers Heims, daß die Zinnformation [119] öftlich des Thüringerwaldes anfange und längst dem Erzgebirge hin, bis fast an die Elbe sich erstrecke, will ich mir nun, in der Folge von Mustern, zu vergegenwärtigen suchen, um meinen mannigfaltigen Doubletten dieser Art soll dir nächstens etwas zu Theil werden.

5. Deinem Carl bekommt dieser Ausflug gewiß recht wohl, für meinen August hoffe ich das Gleiche.

6. Die Schreiberin bittet inständig um das Stammbuch; in Betracht, daß man, binnen der Zeit, manchen Freund mußte vorbeyziehen lassen, ohne sein Andenken bewahren zu können.

Und somit sey unter vielen Segenswünschen diese Depesche abgeschlossen.

W. d. 22. Jan. 1814.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-980B-1