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An Kaspar von Sternberg

Der verspätete Frühling tritt nun um desto rascher heran, die Pflanzenkraft drängt sich zu Entwickelung der Blätter und Blüthen und in wenig Tagen werden sich unsere Umgebungen wieder ganz reinlich, heiter und ergötzlich ausnehmen. Die Hoffnung wächst nun, hochverehrter Freund, Sie bald zu sehen und [125] ich gestehe gern, daß ich ein entschiedenes Bedürfniß fühle, mich einmal wieder von Grund aus zu besprechen, ob ich gleich schon vielen Dank für die brieflichen Mittheilungen zu erstatten habe.

Bey allem diesen jedoch tritt, wie es in weltlichen Dingen zu geschehen pflegt, der wenig erfreuliche Umstand ein, daß mein gnädigster Herr der Großherzog in diesen Tagen nach Brabant, den Prinzen Bernhard zu besuchen geht, dieß läßt eine Lücke die freylich auch bey einem geneigtem Zuspruch des so hochgeschätzten und geehrten Freundes immer sehr fühlbar seyn würde, obgleich unsere Frau Großherzogin, so wie die jungen Herrschaften sich zum frohen Empfang bereit halten; auch Wissenschaftliches würde manches vorzulegen seyn in Hoffnung glücklich erwidernder Belehrung, denn das in die Breite und Tiefe sich ausdehnende Wissen gibt eben so gut zum Zweifel als zur Sicherheit Anlaß.

Für die baldige Erfüllung meines Wunsches wegen der Gewitter-Entstehung in Böhmen fühle mich höchlich verpflichtet, es macht sich diese so complicirt scheinende Wirkung auf solche Weise so klar und deutlich als möglich. Ich habe mich in diesem Felde weiter bemüht und nicht ohne Glück. Auch von außen ist mir manches Gute zugekommen; eine frühere Bemerkung von Humboldts und anderer in den Tropen-Ländern bestätigt sich und deutet auf ein höchst wichtiges Naturphänomen. Ich lege eine Abschrift der Stelle bey.

[126] Auch folgen unsere Beobachtungen vom Januar. Nächstens erscheinen die sämmtlichen vom vorigen Jahre mit einer außerordentlich schönen vergleichenden graphischen Tafel, die sich auf alle Rubriken der Luft- und Himmels-Erscheinungen bezieht.

In Geologicis hab ich ein sehr interessantes Buch erhalten: Description Geognostique des Environs du Puy en Velay. Par J. – M. Bertrand-Roux; es ist alles aus unmittelbarer Anschauung geschrieben. Freylich erschreckt den guten Mann das trachitische Gestein, das, wie aus einer Theater-Versenkung mit dem Granit sich empor gehoben, er unterscheidet alte und neue vulkanische Producte, die ich künftighin als plutonisch aufführen werde. Bei den letzten ist da pyrotypi sche offenbar, die Feuereinwirkung augenfällig; bey den ersten nur durch Schlüsse und Inductionen hergeleitet. Die Kupfer des Werkes sind leicht, aber mit Kenntniß und Gefühl radirt, hinreichend zur allgemeinen Übersicht.

Die aus Böhmen mitgebrachten Hornblende- und Augit-Krystalle (Amphibole & Pyroxene) hat ein junger im Wissenschaftlichen nicht unbekannter Genfer, Herr Soret, bey des jungen Prinzen Erziehung angestellt, geordnet und beschrieben, wie beyliegender Bogen ausweist, welcher die Amphibole ganz enthält; die Pyroxene, lange nicht so zahlreich, folgen nach. Er wird, da meine Sammlung nun vollständig ist, [127] nach Anleitung des Catalogs, auch eine für das Prager Museum zurechtlegen.

Über die voriges Jahr untersuchten Steinsalzlagen darf wohl mündlich nähere Erklärung hoffen. Langsdorf hat gegen die Bohranstalten sich erklärt. Ihm haben die Praktiker dieser Verfahrungsart, in der Beylage der allgemeinen Zeitung Nr. 53 widersprochen. Für uns zuschauende Naturfreunde klärt sich manches auf.

Was mich denn ferner (ich darf nicht sagen zuletzt) noch auf eine persönliche Unterhaltung höchst verlangend macht ist die Naturgeschichte der Kohlen und der im Dache dieser lagen sich findenden Pflanzenabdrücke. Auch mir ist Brogniart zur Hand, aber wer will sich hierauf verlassen; Sie erlauben mir vorzutragen was ich weiß und was ich zu wissen wünsche und helfen mir mit einem freundlichen Händedrucke über alle Bedenklichkeiten weg.

Mit einem frischen Stück Kunst und Alterthum hoffe ich denn auch aufwarten zu können. Ist ein neuer französischer Roman Alonzo schon in Ihren Cirkel gekommen? Eine merkwürdige Production der neusten Zeit. Spanien und die Revolution wird uns dadurch klar genug; historische Wahrheit und sittliche Dichtung sind glücklich in einander geschlungen. Der Verfasser kündigt jetzt eine Beschreibung des letzten Feldzugs an, worauf ich, nach jenen Prämissen, sehr aufmerksam geworden. Die Welt steht so daß man von [128] Zuständen nd Vorgängen früher als sonst entschieden unterrichtet wird, klärer wird man wenigstens über seine Zeit und lernt sich bescheiden.

Wie ich nun am Ende bin wünscht ich von vornen anzufangen. Herrn Dombrowsky empfehle mich schönstens; sobald die jenaische Bibliothek mir wieder zugänglich ist werde ich seiner Aufträge bestens gedenken. In Hoffnung baldigen Wiedersehens!

Treu anhänglich

Weimar den 31. April 1824.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1824. An Kaspar von Sternberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9977-1