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An Carl Friedrich Zelter

Von Ihnen, theuerster Freund, wieder einmal einige Worte zu sehen, war mir höchst erquicklich. [344] Ich denke tausendmal an Sie und bedaure, daß diese verworrene Zeit uns noch mehr als sonst von einander trennt. Selbst zum Schreiben fühlt man wenig Kunst. Man entwöhnt sich des Correspondirens, wie man sich in Staaten, wo scharfe Censur ist, das Lesen abgewöhnt.

Eberwein preise ich glücklich, ja ich beneide ihn, daß er in Ihrer Nähe wohnen und von Ihnen Aufklärung über Leben und Kunst gewinnen kann. Da unsere Oper diesen Sommer nicht nach Lauchstädt geht; so ist er wohl entbehrlich, und er mag nur so lange ausbleiben bis er wieder berufen wird. Ein kleines Gedicht lege ich bey. Vielleicht mögen Sie es selbst mit der nöthigen musikalischen Declamation begleiten; vielleicht geben Sie es Eberwein zum Versuch auf. Ich bin dazu veranlaßt worden durch gute Menschen aus jener Gegend, die in einer alles verschlingenden Zeit das Andenken einer reinen Menschenhandlung erhalten wünschten.

Da es noch nicht räthlich war nach Carlsbad zu gehen; so befind' ich mich in Jena, wo ich einen Roman fertig zu schreiben suche, den ich vorm Jahre in den böhmischen Gebirgen concipirt und angefangen hatte. Wahrscheinlich kann ich ihn noch in diesem Jahre herausgeben und ich eile um so mehr damit, weil es ein Mittel ist mich mit meinem auswärtigen Freunden wieder einmal vollständig zu unterhalten. Ich hoffe Sie sollen meine alte Art und Weise darin [345] finden. Ich habe viel hineingelegt, manches hinein versteckt. Möge auch Ihnen dieß offenbare Geheimniß zur Freude gereichen.

Seit Eberweins Abschied und allerley theatralischen Händeln bin ich von der Musik ziemlich abgeschnitten. Ich hoffe künftig durch ihn desto froheren Genuß. Wiederklänge aus Ihrem Himmel zu dem ich selbst leider niemals gelangen sollte; worüber ich denn doch manchmal verdrießlich bin. Jetzt in kriegerischen Zeiten sieht man erst wie unbehülflich und ungeschickt man sich im Frieden betragen hat. Der kleine Ballade, wenn sie componirt ist, geben Sie eine Publicität welche Sie wollen und lassen mich nicht gar zu lange ohne ein aufmunterndes theilnehmendes Wort. Leider ist mir dieser Winter sehr ungenutz und unfreundlich hingegangen. Seit dem Frühjahre habe ich wieder angefangen, an der Farbenlehre zu redigiren und drucken zu lassen, bin in der Geschichte bis zu Ende des 17. Jahrhunderts und im Ganzen bald am 60. Bogen. Es sieht wunderlich aus wenn eine so große Masse eigenen und fremden Lebens auf dem Papier steht und doch immer nicht nach was rechts aussehen will. Das Geschriebene wie das Gethane schrumpft zusammen und wird immer erst wieder was, wenn es aufs neue ins Leben aufgenommen, wieder empfunden, gedacht und gehandelt wird.

Herr Hirt hat mir sein großes Werk über die [346] Baukunst geschickt. Ich habe mich höchlich gefreut, ein so bedeutendes über zwanzigjähriges Unternehmen endlich noch glücklich zu sehen.

Leben Sie recht wohl und gedenken Sie mein.

Jena den 1. Juni 1809.

G. [347]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1809. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9A34-D