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An Carl Friedrich Zelter

Eigentlich für solche alte Käuze, wie du bist, hab ich, mein Theuerster, die Schillerische Correspondenz schon gegenwärtig drucken lassen; die Jetzt- und Folgewelt mag sie hinnehmen, wie sie kann, für sie bleibt [186] dieß Wesen alles historisch, und auch so wird es manchem Verständigen und heilsam werden; denen aber, die damals schon lebten und wirkten, dient es zu größerer Vollständigkeit und Bequemlichkeit, wenn auch sie das Facit ihres Lebens zu ziehen Luft haben.

Im Allgemeinen aber bleibt es gewiß einem jeden Denkenden interessant, in das Spiel zu sehen, wie damals die Karten vertheilt waren, und wie mit verschiedenem Geschick, Glück und Klugheit das Unternommene getrieben wurde.

Auf Ostern kommen euch die neuen Wanderjahre in die Hände, und da möcht ich immer das alte Wort wieder ausrufen: »O, ihr Athenienser!«

Die Übertriebenheiten, wozu die Theater des großen und weitläufigen Paris genöthigt werden, kommen auch uns zu Schaden, die wir noch lange nicht dahin sind, dieß Bedürfniß zu empfinden. Dieß sind aber schon die Folgen der anmarschierenden Weltliteratur, und man kann sich hier ganz allein dadurch trösten, daß wenn auch das Allgemeine dabey übel fährt, gewiß Einzelne davon Heil und Segen gewinnen werden; wovon mir sehr schöne Zeugnisse zu Handen kommen. Ist doch eigentlich das wahrhaft Vernünftige und Auslangende das Erbtheil weniger, im Stillen fortwirkender Individuen.

Für die Berichtigung der Namen danke zum schönsten; es kommt mir oft vor dergleichen zu verwechseln, [187] besonders von Personen, die ich nicht von Angesicht kenne; wenn sich's nicht nur gar auf Adressen verirrt, so mag es noch hingehen.

Wegen des Wappens will ich mit Meyern sprechen, sobald ich ihn sehe; er ist nicht wohl, und wir kamen lange nicht zusammen. Verlangst du aber ein Roß, so muß es wenigstens Flügel haben und aus einem Felde in's andere springen, welches noch weiter zu überlegen seyn wird.

Das höchst artige Geschichtchen von dem Diener, der im Kopfe nicht zusammenfinden konnte, daß heißes und kaltes Wasser laues hervorbringe, kommt mir gerade zu rechter Zeit. Es hat etwas Ähnliches von den Irish Bulls, die aus einer wunderlichen Unbehülflichkeit des Geistes hervorkommen, und worüber im psychologischen Sinn gar manches zu sagen ist. Hier etwas dergleichen: »Ein Irländer liegt im Bette; man stürmt herein und ruft: rettet euch, das Haus brennt! Wie so? erwidert er, ich wohne ja zur Miethe hier!« Findest du dergleichen in deinem Gedächtniß oder könntest du es sonst nachweisen, so geschähe mir ein Gefalle. Die Betrachtungen darüber sollen dir mitgetheilt werden.

Das Studium der Witterungslehre geht, wie so manches Andere, nur auf Verzweiflung hinaus. Die ersten Zeilen des Faust lassen sich auch hier vollkommen anwenden. Doch muß ich zur Steuer der Wahrheit hinzufügen: daß derjenige, der nicht mehr [188] verlangt, als dem Menschen gegönnt ist, auch hier für angewandte Mühe gar schön belohnt werde. Sich zu bescheiden ist aber nicht jedermanns Sache. Hier wie überall verdrießt es die Leute, daß sie dasjenige nicht erlangen, was sie wünschen und hoffen, und da glauben sie gar nichts empfangen zu haben. Man müßte z.B. vor allen Dingen auf das Vorauswissen und Prophezeyen Verzicht thun, und wem ist das zuzumuthen.

Soviel für heute! Schreibe bald wieder, denn es gibt auch bey mir unter großem Drang, der manchmal in Verwirrung ausarten will, doch immer noch ein Stündchen ruhiger Fassung zu freundlichstem Erwidern.

und so fort an!

Weimar den 4. März 1829.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9A46-5