[264] 6/1915.

An den Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha

Durchlauchtigster Herzog
Gnädigster Herr

Ew. Durchl. gnädig vertrauliches Schreiben heißt mich mit einer Antwort doppelt eilen; glauben Sie,[264] daß ich den Werth einer solchen Behandlung in seinem ganzen Umfange fühlen kann.

Was Ew. Durchl. an den Werken des jungen Künstlers bemerken, tritt mit dem, was ich darüber gedacht habe, im Ganzen völlig überein, nur nehmen es Ew. Durchl. ein wenig schärfer und geben der Hoffnung weniger Raum als ich zu thun geneigt bin. Wenn wir das große Gemälde sehen werden, alsdann wird sich mehr sagen lassen.

Das Bild mit den beiden Figuren hat wirklich viel Gutes, ob ich gleich gerne gestehe, daß es auch für mich wenig Reiz hat. Darf ich aber Ew. Durchl. etwas in's Ohr sagen, so finde ich in diesen Gestalten die Unschuld der Sitten unsres Künstlers. Hatte er die Reize des weiblichen Körpers mit Leib und Seele genossen, würde er nach diesem schönen Theile der Schöpfung mit unwiderstehlichen Trieben hingerissen, gewiß seine Gemälde würden mehr Leben und Wollust athmen, und er würde keinen räthselhaften Zwitter produciren.

Warum ist ihm das Bild Conradin's so wohl gerathen, als weil er selbst ein guter, edler, freigesinnter Mensch ist, dessen Seele sich an der Betrachtung dieser Eigenschaften in einem andern nicht genug weiden kann? Auch darum habe ich eine gute Hoffnung zu dem großen Gemälde, weil es nur Männer vorstellen wird.

In dieser Erwartung stimme ich mit Ew. Durchl.[265] darin ganz ein, daß er ein fürtrefflicher Portraitmaler sein werde. Und welch' ein glückliches, in unsern Tagen so seltnes Talent ist auch dieses! Wie betrübt ist es, eine geliebte, geschätzte Person nach der andern von dieser Welt scheiden zu sehen, ohne wenigstens durch ein gutes Bild einen Schatten ihres Daseins erhalten zu können. Wie sehr freue ich mich auf seine Zurückkunft.

Der Wunsch, den ich Ew. Durchl. vorzutragen zauderte, ist, daß Sie die Gnade haben möchten, ihm eine kleine Summe Geldes zu bestimmen, die er blos dazu anwenden wollte, um nach lebenden Modellen zu malen und sich immer mehr zu vervollkommnen, auch auf gute Farben einen Theil zu verwenden. Alle Studien wird er dagegen einschicken, mitbringen und bei Ew. Durchl. niederlegen. Er wird sich dadurch in einen Vorrath schöner und bedeutender Gestalten setzen, die ihm wohl die nördlichere Gegend nicht hervorbringen möchte. Da ihn dieses der Natur immer näher bringt, ihm Bestimmtheit empfiehlt, so wäre ihm zu diesem guten Werke wohl Hülfe und Beistand zu gönnen, mit 20 Carolins glaubt er weit zu reichen.

Verzeihen Ew. Durchl. das anscheinende Mißtrauen in die mir so bekannten Gesinnungen, ich bin leider so gewohnt, eigne und fremde Wünsche in mich zu verschließen und nur der Nothwendigkeit nachzugeben, daß ich auch da, wo mir so viele Aufmunterung entgegen kommt, schüchtern und zauderhaft bin.

[266] Eifrig Ew. Durchl. Vertrauen immer mehr zu verdienen, unterzeichne ich mich

Ew. Durchl.

unterthänigster

Weimar den 19. April 1784.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1784. An den Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9C88-3