44/154.

An Sulpiz Boisserée

Diese Zeit her, mein Theuerster, war ich um Sie gar sehr besorgt, da ich aus Ihrem Schweigen und sonstigen Umständen vermuthen mußte, daß Sie in dem wichtigen Augenblicke Ihres Lebens durch krankhaften Anfall gehindert seyen, einen so lange und wohlgefaßten Vorsatz auszuführen. Dabey dachte ich freylich nicht, daß Sie mich zunächst wegen so großen Unheils bedauern würden.

Das Unerträgliche, das man so lange fürchtet, ja voraussieht, wird nicht erträglicher dadurch, daß es in die Wirklichkeit hereintritt; es übt alsdann erst seine eigentliche ganze Gewalt aus.

Viele Tausende sind in dem gegenwärtigen Falle schmerzlich berührt; ein jeder leidet auf seine Weise, und jeder sucht sich nach Art und Verhältniß zu fassen und herzustellen.

Die Frau Großherzogin blieb auch dießmal sich selbst gleich; ihr Schmerz war jedoch desto empfindlicher, als sie in den letzten Jahren die feste Hoffnung gehegt hatte, sie werde vor ihm hingehen.

Die jungen Herrschaften mit Prinzeß Auguste reis'ten nach Petersburg, die Frau Großherzogin mit Prinz Alexander nach Wilhelmsthal, der Großherzog war nach Berlin gegangen, um entseelt, mit allen[170] fürstlichen und militärischen Ehren, in das verödete Weimar zurückgebracht zu werden, wo nun die oberen Behörden mit einer würdigen Bestattung beschäftigt sind, die durch manche zweifelhafte Umstände verzögert wird.

Die dem edlen Fürsten wahrhaft angehörigen Hinterbliebenen kennen nun keine weitere Pflicht noch Hoffnung, als seinen herrlichen, in's Allgemeine gehenden Zwecken auch ferner nachzuleben, wozu ihnen der Charakter, die Gesinnung der neu antretenden Gebieter eine ermunternde Aussicht darbietet.

Alles diese Unerwartete mit seinen Folgen mußte der brave Stieler erleben und erdulden. Glücklicherweise für sein Geschäft war das unternommene Bild vollkommen untermahlt, als das Unheil über uns hereinbrach. So wurde denn auch das Ausmahlen durch die Exaltation, in die uns jede Leidenschaft versetzt, auf eine sonderbare Weise begünstigt, und sowohl diese als auch einige andere von ihm aufgestellten Arbeiten erschienen wie lichte Puncte den trauernden Beschauern. Es gereicht uns dieses zu desto größerer Zufriedenheit, als wir dem hohen Auftragenden einen glücklichen Erfolg dieses Geschäftes vor Augen gestellt wünschten.

Und so muß sich das fortschreitende Leben zwischen das scheidende einschlingen, um das Gewebe des wechselnden Weltwesens der ewigen Nothwendigkeit gemäß fortzuwirken.

[171] Möge ich nun aber von Ihren Zuständen etwas Tröstliches erfahren.

treu verbunden

Weimar den 6. Juli 1828.

J. W. v. Goethe.


Auszug aus einem Schreiben des Herrn Hofrath Soret, Wilhelmsthal den 4. Juli 1828:

S. A. R. Vous prie aussi d'écrire á Monsieur de Boisserée: qu'Elle a été fort sensible á son souvenir, comme á la part qu'il prend au deuil général.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9DED-8