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An Justus Christian Loder

Die letzten Tage des Jahres, wo wir des Sonnenlichtes so sehr entbehren, sind mir von jeher ungünstig und drückend; was mir deshalb in solchen Stunden Gutes, Liebes und Erfreuliches zukommt, gewinnt für mich einen doppelten, dreyfachen Werth, sowohl in dem Augenblick, als in der nachherigen Fortwirkung.

Vielleicht erinnern Sie sich, verehrter Mann, noch dieser Idiosynkrasie aus jener Zeit, die weder für mich, noch für die Academie Jena so glücklich und productiv wiedergekommen ist. Gegenwärtig gilt es aber von dem Zustande, in welchem die vorzügliche, unter dem 6. September dieses Jahres angekündigte Sendung mich fand und den sie durchaus verbesserte.

Nur mit wenigem danke in diesem Augenblick zuerst für das Modell der einzigen Goldmasse, welche mehrere Monate her bey mir aufgestellt, jedermann zur Bewunderung ruft, sodann für die anziehende Mineraliensammlung. Ich fand in diesen Tagen noch nicht Raum sie auszupacken, will aber, dem Wunsche [103] des Herrn Rittmeister Küster in Braunschweig gemäß, dieses Blatt nur vorläufig absenden. Welch ein fröhliches neues Jahr wird es mir aber werden, wenn ich die durch den Catalog mir schon gleichsam gegenwärtigen Schätze ausgepackt und geordnet wirklich vor Augen sehe! Es wird mir zu vollständiger Anerkennung und weiterer Mittheilung den schönsten Anlaß geben. Zwar wird mein Dank, mit mehr oder weniger Worten ausgesprochen, immer derselbige bleiben, tief empfunden sowohl für diese Gabe als für alles, was mir in früherer Zeit durch einen so unterrichteten, als thätig geneigten Freund Gutes geworden. Wie ich denn auch überzeugt bin, daß Dieselben, wenn Sie Ihren Lebensgang recapituliren, sich meiner als eines mehrjährigen treuen Begleiters und Wissenschaftsgenossen erinnern werden.

Liebe und Leidenschaft für die Naturkunde ist mit den Jahren nur gewachsen, da gar manches Andere in den Hintergrund zurücktritt, womit man früher seiner Thätigkeit mehr schmeichelt, als daß man sie wahrhaft beschäftigte.

Deshalb kommt auch die bedeutende Sendung so höchst willkommen, weil ich meistens in Weimar, ja zu Hause gehalten werde und daher die Schätze des jenaischen Museums nicht mehr zu Auffrischung und Erweiterung meiner Kenntnisse benutzen kann.

Nur mit den wenigsten Worten berühre noch den großen Verlust, den wir in der Hälfte des vorigen [104] Jahres erlitten, und an welchem Sie wahrhaft theilgenommen, sowie denjenigen gleichbedeutenden, der Sie in der letzten Zeit betroffen, und den wir von Grund aus mit empfinden. Mir persönlich bleibt es immer höchst schmerzhaft, so manche große, herrliche, jüngere Personen vor mir dahin gehen zu sehen, und dabey nichts übrig als fortzuwirken, so lange es Tag ist, und der früher oder später eintretenden Nacht getrost entgegen zu leben.

unwandelbar treu angehörig

Weimar den 2. Januar 1829.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Justus Christian Loder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9E83-C