4/1024.

An Charlotte von Stein

den 10. Okbr. Abends. Dass sich doch Zustände des Lebens wie Wachen und Traum gegen einander verhalten können!

Was Sie mir heut früh zulezt sagten hat mich sehr geschmerzt, und wäre der Herzog nicht den Berg mit hinauf gegangen, ich hätte mich recht satt geweint. Auf ein Übel häuft sich alles zusammen! Ja es ist eine Wuth gegen sein eigen Fleisch wenn der Unglückliche sich Lufft zu machen sucht dadurch dass er sein Liebstes beleidigt. Und wenns nur noch in Anfällen von Laune wäre und ich mirs bewusst seyn könnte; aber so bin ich bey meinen tausend Gedancken wieder zum Kinde herabgesezt, unbekannt mit dem Augenblick, dunckel über mich selbst, indem ich die Zustände der andern wie mit einem hellfressenden Feuer verzehre.

Ich werde mich nicht zufrieden geben biss Sie mir eine wörtliche Rechnung des Vergangnen mir vorgelegt haben, und für die Zukunft in Sich einen so schwesterlichen Sinn zu überreden bemühen, der auch von so etwas gar nicht getroffen werden kan. Ich müsste Sie sonst in den Momenten meiden wo ich Sie am nötigsten habe. Mir kommts entsezlich vor die besten Stunden des Lebens, die Augenblicke des Zusammenseyns verderben müssen, mit Ihnen, da [304] ich mir gern iedes Haar einzeln vom Kopf zöge wenn ich's in eine Gefälligkeit verwandlen könnte, und dann so blind, so verstockt zu seyn. Haben Sie Mitleiden mit mir. Das alles kam zu dem Zustand meiner Seele darinn es aussah wie in einem Pandämonium von unsichtbaaren Geistern angefüllt, das dem Zuschauer, so bang es ihm drinn würde, doch nur ein unendlich leeres Gewölbe darstellte.

Nachdem ich Alles durchkrochen, (das Thal hatte mich sehr freundlich empfangen) nachdem ich die neuen Weege fertig und sehr schön, und mancherley zu thun gefunden, durch die Bewegung selbst, ward mirs viel besser.

Hier ist das Lexikon wieder, es soll Ihre. Mein Seidel hat übereilt meinen Nahmen hineingeschrieben, ich dencke dass es drum nicht weniger Ihre gehören kan.

Schicken Sie mir Wasers Ende, und den Schreibtischschlüssel.

In Belveder ist man artig und das Prinzessgen gar allerliebst.


d. 11. Nachts.

Knebel, hofft ich, sollte mir etwas von Ihnen mitbringen, sonst hätt ich meinen Boten schon heute fort geschickt. Nun nicht eine Zeile, nicht ein welckes Blat, nichts was Ihnen nichts gekostet hätte.

Er hat mit mir gegessen, die Schrötern auch, wir haben in Steinen gelebt und zulezt war der Mondschein [305] sehr schön. Das Thal ist liebreich die Blätter fallen einzeln, und iedes wechselt noch erst zum Abschied die Farbe.

Gute Nacht, meine beste. Ach man weis nicht was man hat, wenn man gute Nacht mit Hand und Mund sagen kan.

d. 12ten früh 6. Guten Morgen! Mein Bote geht. Vielleicht hör ich heute noch etwas von Ihnen. Grüsen Sie Lingen und geben ihr innliegendes. Adieu. Adieu. Auch Steinen in seinem Laboratorio und Frizzen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1780. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9F68-2