1826, 29. September.


Mit Franz Grillparzer u.a.

Endlich kam ich nach Weimar und kehrte in dem damals in ganz Deutschland bekannten Gasthofe »zum Elefanten«, gleichsam dem Vorzimmer zu Weimars lebender Walhalla, ein. Von da sandte ich den Kellner mit einer Karte zu Goethe und ließ anfragen, ob ich ihm aufwarten dürfe. Der Kellner brachte die Antwort zurück: Der Herr Geheimrath habe Gäste bei sich und könne mich daher jetzt nicht sehen. Er erwarte mich für den Abend zum Thee .....

Gegen Abend ging ich zu Goethe. Ich fand im Salon eine ziemlich große Gesellschaft, die des noch nicht sichtbar gewordenen Herrn Geheimraths wartete. Da sich darunter – und das waren eben die Gäste, die Goethe Mittags bei sich hatte – ein Hofrath Jakob. . . mit seiner ebenso jungen als schönen, und ebenso schönen als gebildeten Tochter befand, derselben, die sich später unter dem Namen Talvj einen literarischen Ruf gemacht hat, so verlor [311] sich bald meine Baugigkeit, und ich vergaß im Gespräche mit dem liebenswürdigen Mädchen beinahe, daß ich bei Goethe war. Endlich öffnete sich eine Seitenthüre, und – er selbst trat ein. Schwarz gekleidet, den Ordensstern auf der Brust, gerader, beinahe steifer Haltung, trat er unter uns, wie ein Audienz gebender Monarch. Er sprach mit diesem und jenem ein paar Worte, und kam endlich auch zu mir, der ich an der entgegengesetzten Seite des Zimmers stand. Er fragte mich, ob bei uns die italienische Literatur sehr betrieben werde? Ich sagte ihm der Wahrheit gemäß, die italienische Sprache sei allerdings sehr verbreitet, da alle Angestellten sie vorschriftsmäßig erlernen müßten; die italienische Literatur dagegen werde völlig vernachlässigt, und man wende sich aus Modeton vielmehr der englischen zu, welche bei aller Vortrefflichkeit doch eine Beimischung von Derbheit habe, die für den gegenwärtigen Zustand der deutschen Kultur, vornehmlich der poetischen, mir nichts weniger als förderlich scheine. Ob ihm diese meine Äußerung gefallen habe oder nicht, kann ich nicht wissen, glaube aber fast letzteres, da gerade damals die Zeit seines Briefwechsels mit Lord Byron war. Er entfernte sich von mir, sprach mit andern, kam wieder zu mir zurück, redete, ich weiß nicht mehr von was, entfernte sich endlich, und wir waren entlassen.

Ich gestehe, daß ich mit einer höchst unangenehmen Empfindung in mein Gasthaus zurückkehrte. Nicht als [312] wäre meine Eitelkeit beleidigt gewesen, Goethe hatte mich im Gegentheil freundlicher und aufmerksamer behandelt, als ich voraussetzte; aber das Ideal meiner Jugend, den Dichter des »Faust«, »Clavigo« und »Egmont« als steifen Minister zu sehen, der seinen Gästen den Thee gesegnete, ließ mich aus all' meinen Himmeln herabfallen. Wenn er mir Grobheiten gesagt und mich zur Thüre hinausgeworfen hätte, wäre es mir fast lieber gewesen. Ich bereute fast, nach Weimar gegangen zu sein.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1826. 1826, 29. September. Mit Franz Grillparzer u.a.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A644-E