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Ew. Wohlgebornen Verzeichnis der typographischen Sünden in unserm Abdruck hat mich wirklich erschreckt, und ich konnte mich nicht beruhigen bis ich in Jena, wo das Manuscript geblieben war, fand, daß dieses die Schuld trug. Das ist aber nur ein leidiger Trost, mit einen paar Cartonen wäre der Sache abgeholfen gewesen.

Merkwürdig ist es, daß im Schreiben, besonders aber im Abschreiben oft, bey vielem Wiederholen derselben Sache, das Entgegengesetzte geschrieben wird. So emendierte ich, bey Übersetzung des theophrastischen Farbenbüchleins, Schwarz in Weiß, oder umgekehrt, ich erinnere mich selbst nicht mehr. Unser Freund Wolf freute sich darüber. Er habe, sagte er, zum Spaß schon einmal seinen Schülern vorausgesagt, daß dergleichen Emendationen vorkommen würden.

Dabey will ich nicht verhehlen, daß gerade diese Stelle und die darauf bezüglichen mir trübe geblieben,[104]und daß, weil mein Organ zu jenem Gewahrwerden nicht geeignet ist, der Wunsch bey mir recht lebhaft entstand, mich über diese Dinge mündlich mit Ihnen zu besprechen; dann würden auch für die Puncte, über welche wir dissentieren, Mittelbestimmungen gefunden werden.

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Auf dieser Stelle trifft mich Ihr theurer Brief durch Herrn Schinkel. Ihr Wohlwollen gegen die Schrift des Bergrath Voigt, das ich zwar erwartete, konnte mich doch höchlich erfreuen. Auch ich halte das für den rechten Weg. Manches läßt sich nicht besser ausdrücken und dann ist es sehr wacker, daß er dahin deutete, wohin er im Augenblick nicht gelangen konnte.

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Dr. Schopenhauer ist ein bedeutender Kopf, den ich selbst veranlaßte, weil er eine Zeitlang sich hier aufhielt, meine Farbenlehre zu ergreifen, damit wir in unsern Unterredungen irgend einen quasirealen Grund und Gegenstand hätten, worüber wir uns besprächen. Da ich in der intellectuellen Welt ohne eine solche Vermittlung gar nicht wandeln kann, es müßte denn auf poetischem Wege seyn, wo es sich ohnehin von selbst giebt.

Nun ist, wie Sie wohl beurtheilen, dieser junge Mann, von meinem Standpunkt ausgehend, mein Gegner geworden, zur Mittelstimmung dieser Differenz habe ich auch wohl die Formel; doch bleiben dergleichen Dinge immer schwer zu entwickeln.

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In diesen letzten Tagen haben mich die entoptischen Farben noch sehr beschäftigt. Wenn man zwey starke Octavbände über einen Gegenstand hat drucken lassen, und sich in derselben Region wieder auf einmal vor einem Abgrund sieht, so gibt dies gewiß eine herzerhebende Empfindung. In dieser Entdeckung liegt eigentlich das Wort des Räthsels, das sich aber selbst aussprechen muß. Die Phänomene schließen sich ganz natürlich an alle übrigen an, ich behandle sie nach meiner alten Art, indem ich sie wechselsweise in's Einfache ziehe und in's Mannigfaltige treibe.

Da Sie aus dem Schweiggerschen Journal die Umkehrung der Erscheinung kennen, so brauche ich kaum zu sagen, daß der hier hervortretende Gegensatz mit dem der physiologen Erscheinungen völlig identisch ist.

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TextGrid Repository (2022). Goethe, Johann Wolfgang von. 19. Juli 1816. Goethe an C. L. F. Schultz. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-354D-0