[128r]

(Ew.)Euer Excellenz
sage ich den verbindlichsten Dank für die mir geliehenen Bücher.
Beygehend sende ich des Diego de Carvalho Memoria p zurück; die
Observations sur les Ombres colorées muß ich bitten mir noch einige
Zeit zu lassen, da ich sie noch nicht habe excerpiren können.

[...] - Wir sind
mit unserm neuen Wohnorte ganz zufrieden; ich habe mir sogleich eine
dunkle Kammer eingerichtet und wieder zu experimentiren angefangen.
Meine erste Arbeit im August war die Wiederholung der Beobachtungen
und Versuche von Malus über Spiegelung und doppelte Strahlenbrechung,
wovon er in seiner Théorie de la double réfraction, Paris 1810
Nachricht gegeben hat. Malus hat nämlich gefunden, daß das Licht,
wenn es unter einem Winkel von ungefähr 35° auf ein unbelegtes
Spiegelglas fällt, und reflectirt wird, sich gegen den Doppelspath
anders verhält, als das direkte Licht, in gewissen Lagen des Haupt-
schnittes vom Doppelspath nur ein einfaches Bild gibt, ferner, daß
ein 2tes Glas, welches dieselbe Neigung gegen den Horizont hat, als
das erste, in 2 Richtungen das vom ersten Glase reflectirte Licht
[128v]nicht weiter reflectirt. Es sey AB das auf das erste unbelegte [Spiegel-]
glas I fallende Sonnenlicht, welches nach C reflectirt, und dort
von einem 2tn unbelegten Glase aufgefangen wird, so
erscheint, wenn AB sich in der Mittagsebene befindet, und
das 2te Glas nach Norden oder nach Süden gerichtet ist, ein
gespiegeltes Bild der Sonne, (hier als nach Norden fallend vor-
gestellt,) wie gewöhnlich. Wird aber das 2te Glas um BC
wie um eine Achse gedreht, während es seine vorige
Neigung gegen den Horizont behält, so wird das Bild
D immer schwächer, und wenn die spiegelnde Fläche
II nach Osten oder Westen gerichtet ist, so wird man kein Licht in D (dann
in Osten befindlich) gewahr. Neigt man in dieser Stellung eines oder das
andere der beyden Gläser nur ein wenig gegen den Horizont, daß der einfallende
Winkel in B oder C nur etwas größer oder kleiner wird, so sieht man sogleich
ein reflectirtes Bild der Sonne auch in Osten. Diese Erscheinungen sind
übrigens ganz unabhängig von den Weltgegenden. Jedesmahl wenn das 2te Glas
mit dem 1tn gleiche Neigung hat, und das Licht unter ungefähr 35° reflectirt,
so erfolgt in der Richtung der Einfallsebene eine Spiegelung, dagegen keine
in der diese Einfallsebene rechtwinklig schneidenden Fläche. - Bringt man
in BC ein Rhomboeder von Doppelspath, so erhält man nicht in jeder Lage
desselben ein Doppelbild, wie gewöhnlich im Sonnenlichte, sondern das Bild
ist, wenn der Hauptschnitt sich in der Einfallsebene befindet, einfach, und genau
das von der gewöhnlichen Brechung, wie man es nennt, und ebenso ist es
einfach wenn der Hauptschnitt des Doppelspathes die Einfallsebene unter
einem rechten Winkel schneidet, dies ist aber dann das von der ungewöhnlichen
Brechung hervorgebrachte Bild, in allen Zwischenlagen ist das Bild doppelt.
Den Hauptschnitt nennt man seit Huygens eine Fläche, welche am regulären
[129r]oder gleichseitigen Kalkspath-Rhomboeder durch die kleine Diagonale und zwey
einander gegenüber stehende stumpfe Ecken geht; es hat also jedes Rhomboeder
3 Hauptschnitte. - HE. Arago hat wiederum bemerkt, daß ein solches ver-
schwundenes Bild vom Doppelspath, und ebenso das durch das 2te Glas in Osten
und Westen nicht mehr sichtbare Bild, sogleich wieder hergestellt werde, wenn
man ein dünnes Blättchen russisches Marienglas, oder Gyps, oder eine Berg-
krystalltafel in BC über den Doppelspath oder das Glas II hält, und daß
dies wiederhergestellte Bild 4 mahl verschwindet und 4 mahl im lebhaftesten
Lichte erscheint, wie man das Glimmerblatt um BC wie um eine Achse
einmahl herum1 dreht. - Eine ausführlichere Nachricht von diesen und andern2 Erscheinungen finden (Ew.)Euer
Excellenz in Gilberts Annalen von 1809, 1811 und 1812. - Wenn man statt der
unbelegten Gläser Metallspiegel oder auch belegte Glasspiegel [verwendet,] so finden
nicht mehr dieselben Erscheinungen statt. Wasser hingegen und überhaupt
alle durchsichtige Körper bringen sie hervor, doch unter andern Winkeln
zum Theil als Glas. - Die Theorie von HE. Malus ist ganz mechanisch, er nimmt
viereckige Lichtstrahlen und Lichtmoleculs mit 3 Achsen an p, und trägt nun
in dieser theoretischen Sprache seine Beobachtungen vor, so daß man sie häufig
erst in die einfache Beschreibung der Phänomene übersetzen muß, um nur
zu wissen, was er denn gesehen hat. Ich habe die mehresten von seinen Versuchen
wiederholt und weiter verfolgt, und bin so glücklich gewesen einige für die
Lehre von der Brechung und Spiegelung und für das Verhalten des Lichtes zu
den durchsichtigen Körpern überhaupt wichtige Entdeckungen zu machen.
In einem Monate hoffe ich (Ew.)Euer Excellenz eine gedruckte Nachricht hiervon
überreichen zu können. Ich wünschte Ihnen diese Versuche selbst zeigen
zu können, sie sind sehr merkwürdig und müssen gehörig verfolgt, uns
noch bedeutende Aufschlüsse über die Action des Lichtes verschaffen.

Damit Sie Sich durch eigene Anschauung wenigstens von den oben erzählten factis
überzeugen, habe ich einen kleinen Apparat und ein Prisma von Doppelspath für Sie
[129v]verfertigt, welche hier beylege. Wenn Sie den mit A bezeichneten Würfel an eine
Tischkante so stellen, daß die Seite A nach außen gekehrt ist, und davor3 eine Kerze
in die Verlängerung der einen innen gezogenen Linie stellen, so wirft das
schwarze Glas das Bild des Lichtes unter einem Winkel von ungefähr 35° in
der Richtung der andern Linie, und der Tischkante zugleich zurück. Stellen
Sie hierauf den 2tn Würfel B so an die Kante des Tisches, daß die Seite B
nach oben gerichtet ist, dem 1tn Glase gegenüber steht, und das von diesem
gespiegelte Bild auffängt, so sehen Sie, wenn Sie auf das Glas in B
gerade niederblicken, die Flamme der Kerze; wie Sie aber das Auge entfernen
und in die Verlängerung der in B gezogenen Linie bringen, so verschwindet
Ihnen das Bild des Lichtes mehr oder minder vollkommen, je nachdem die
Stellung des Lichtes, der Gläser und des Auges gelungen ist. 2) Behalten
Sie die letzte Stellung des Auges bey, in der Ihnen die Flamme verschwunden
war, und bringen Sie eine dünne Tafel von Marienglas, oder ein durch-
sichtiges dünnes Stück Gyps, perpendiculär zwischen die beyden Würfel,
so wird die Flamme sogleich sichtbar. Drehen Sie das Marienglas um
eine hier horizontal zu denkende Achse, so verschwindet Ihnen das von B
gespiegelte Bild während einer Umdrehung 4 mahl. 3) Geben Sie, während
A unverändert stehen bleibt, dem Würfel B die Lage, daß die Seite B nach
außen gekehrt ist, wie A, beyde Gläser also so einander gegenüber stehen / \
so sehen Sie die Flamme der Kerze in jeder Richtung. Wird nun, indem das
Auge unter einem Winkel von 35° (d. h. in der Verlängerung der innen gezogenen
Linie) auf B sieht, eine Tafel Marienglas zwischen die beyden Würfel
gehalten, so erscheint die Flamme gerade in den Stellungen des Marienglases
geschwächt und trüb, in denen es bey der 1tn Lage von B lebhaft war, und
wiederum lebhaft in den Stellungen des Marienglases, wo es in der ersten
Lage von B unsichtbar war. 4) Stellen Sie B bey Seite, und betrachten Sie
das von dem Glase A gespiegelte Bild durch das Prisma von Kalkspath, so
[130r]sehen Sie 2 Bilder der Flamme; drehen Sie das Prisma um eine horizontal zu
denkende Achse, so wird Ihnen das eine Bild schwächer und verschwindet endlich gänzlich;
wie Sie weiter drehen, so kömmt das verschwundene Bild wieder zum Vorschein, und
das andere wird schwächer und verschwindet endlich gänzlich. Zweymahl ver-
schwindet das eine und 2 mahl das andere Bild. 6) Ein Glimmerblatt zwischen
den feststehenden Doppelspath und dem Glase A gehalten, bringt auch hier
das verschwundene Bild wieder zum Vorschein. Es wirkt der Glimmer hier
gleichsam vertheilend. Ich habe auch untersucht, ob diese Erscheinungen in
irgend einem Zusammenhange mit der Polarität des farbigen Lichtes stehn,
habe aber noch keinen bedeutenden Einfluß der einen auf die andern wahrgenommen;
doch sind noch nicht alle Versuche gemacht die ich deshalb entworfen hatte. Der
niedrige Stand der Sonne, und die üble Witterung überhaupt, zwangen mich
diese Arbeit früher zu unterbrechen, als mir lieb ist.

Eine merkwürdige Stelle aus Malus Théorie muß ich Ihnen noch mittheilen.
Nachdem er Huygens Untersuchungen über die doppelte Strahlenbrechung das
gebührende Lob ertheilt hat, sagt er p. 290: Cette loi considérée en elle-même
& débarrassée de l'explication à laquelle Huygens l'avoit attachée, est
une des plus belles découvertes de ce célèbre géomètre. - Newton,
dans les questions qui suivent son traité d'Optique, a consacré plusieurs
pages à la double refraction. Il connoissoit l'ouvrage d'Huygens;
cependant il substitue à la loi de ce géomètre une loi plus simple
en apparence, mais absolument contraire aux phénomènes, comme M.
Haüy
l'a remarqué et démontré le premier. On a peine à expliquer
le peu de cas que Newton fit, dans cette circonstance, d'une loi que
Huygens avoit déclarée conforme à ses experiences; il est probable qu'il
n'en répéta aucune avec le soin qu'il étoit accoutumé à mettre dans ses
travaux physiques, et que, dédaignant l'hypothèse des ondulations qu'il
avoit combattue et terrassée par ses théories, il enveloppa dans le même
[130v]jugement et la loi et l'explication qui sembloit l'appuyer.
Sein Werk
schließt Malus folgendermaßen: Ainsi, après un siècle de recherches et
de discussions sur cette matière, une connoissance plus parfaite des
phénomènes nous ramène à admettre, comme incontestable, cette loi
remarquable que l'autorité de Newton a fait méconnoître, et replace
une des plus belles découvertes de Huygens au rang qu'elle doit occuper
dans le système de nos connoissances.

Wenn (Ew.)Euer Excellenz Rizzettis Specimen (phys. mathemat.)physico-mathematicum de luminis
affectionibus
besitzen, so würde ich mir es auf einige Wochen ausbitten.
Desaguliers Abhandlung gegen ihn in den (Philos. Transact.)Philosophical Transactions enthält einen
Versuch über das Verschwinden des gespiegelten Bildes wenn ein Glasprisma
eine Wasserfläche berührt. Rizzetti hat vielleicht hierüber noch mehr.
Das obenbenannte Werk von ihm befindet sich nicht in München, und die
Acta Eruditorum enthalten wohl nur Auszüge. Ich würde (Ew.)Euer Excellenz
bitten es mir gerade mit der fahrenden Post zu senden.

Des Diego de Carvalho Versuche habe ich noch nicht wiederholen können, es
soll aber nächstens geschehen. Noch bin ich gesonnen diesen Winter einige merk-
würdige und ganz übersehene Beobachtungen von Herschel über lichtlose Wärme
näher zu untersuchen. Ich habe mir hierzu 2 empfindliche korrespondierende
Thermometer in Ansbach bestellt, welche ich nächstens erhalten soll. - Ich
habe vor kurzen in Ansbach die Bekanntschaft eines Mannes gemacht, welcher
sich mit Verfertigung von Achromaten beschäftigt, und große sehr vorzügliche
Werkzeuge dieser Art zu Stande gebracht hat, er heißt Bischof und war
bis vor einem Jahre Baudirector und Finanzrath. Dieser Mann hatte sich bey
seinem Aufenthalte in Engeland mit einem beträchtlichen Vorrate von gutem
englischen Flintglase und Crownglase versehen, und besitzt auch verschiedene
sinnreich ausgedachte Vorrichtungen zur genauen Bestimmung der Brechung
und Farbenzerstreuung seiner Gläser. Er sagte mir, daß er auch den
Apparat des Duc de Chaulnes besitze. Als ich ihn fragte, ob er denn
[131r]mittelst desselben einen Unterschied in der deutlichen Abbildung der Objecte
durch das rothe und das blaue Glas bemerkt habe? erwiederte er: niemahls,
und er habe überhaupt jenen Apparat zur Bestimmung der Farbenzerstreuung
nicht brauchbar gefunden. Dies stimmt vollkommen mit meinen im vorigen
Winter mit Kerzenlicht angestellten Versuchen überein; ich werde nun auch
den ersten hellen Mittag benutzen ihn im Sonnenlichte zu wiederholen.
Die Fernröhre des HE. Bischof gehören wohl zu den vorzüglichsten welche
in Deutschland verfertigt worden, und stehen selbst, wie mir der
Astronom HE. Soldner aus München versicherte, den englischen gleicher Art
nicht nach. Die Objective bestehen blos aus 2 Gläsern und sind vollkommen
achromatisch. HE. Bischof hatte 3 Instrumente fertig, 2 von drittehalb
Fuß und eines von etwa 4 Fuß; mit dem letztern konnte ich in einem
Abstande von 170 Schritten ungefähr die kleinste Schrift eines Titelblattes
vollkommen deutlich lesen. Mit den kleinern konnte ich dies zwar auch, doch
erst als ich den Inhalt des Blattes kannte. Die Sternwarte in München
besitzt ein solches kleineres Fernrohr, wofür ihm 30 Carolins gezahlt
worden sind, auch wurde er zum correspondirenden Mitglied der Akademie
ernannt. Der König von Preußen besitzt gleichfalls ein Fernrohr von ihm,
wofür er eine Gehaltszulage erhielt. Eines von den 2 1/2füßigen, die er
jetzt fertig hat, würde er wohl für 200 (Rht.)Reichsthaler lassen. Noch hat HE. Bischof
ein Objectiv von beynahe 5 Zoll Durchmesser nebst Ocularen zu einem
12füßigen Achromat fertig, desgleichen das kupferne Rohr dazu, nur das
Stativ fehlt. Dies ist wohl das größte bis jetzt zu Stande gebrachte
achromatische Fernrohr. - Bey Herrn Rath Soldner habe einen Multiplikations-
kreis von Reichenbach zu terrestrischen Vermessungen gesehen. Dies Instrument
ist vollendet zu nennen. Es ist seit 4 Jahren zu den weitläuftigen Vermessungen
im Reiche gebraucht worden, und ist noch so vollkommen, als es aus der Hand
des Künstlers gekommen ist. HE. Soldner versicherte, daß es die besten
[131v]englischen Werkzeuge der Art, welche er in Berlin und Gotha gebraucht habe,
weit übertreffe; auch die Übereinstimmung in den gemessenen Winkeln in
dem Tagebuche des HE. S. sprechen für die große Vollkommenheit des
Instrumentes. Es hat dies 1 Fuß im Durchmesser und hat 70 Carolins gekostet.
Kleinere Kreise à 8 Zoll Durchmesser, welche 10 Sec. angeben, zu terrestrischen
und astronomischen Gebrauch eingerichtet, kosten bey HE. v. Reichenbach nur
40 Carolins. Herr Baumann in Stuttgard, welcher auch sehr gute Instrumente
dieser Art verfertigen soll, läßt sich für ein solches 8zölliges 70 Carolins
zahlen. Eine ausführliche Nachricht von den Reichenbachschen Kreisen und der
Genauigkeit, welche selbst die kleinsten zulassen, finden (Ew.)Euer Excellenz in der
Bibliothèque Britannique 1812 Fevr. & Mars von HE. v. Zach. Da Sie
mit der Einrichtung einer Sternwarte in Jena beschäftigt sind, so sind Ihnen
diese Notizen vielleicht brauchbar. Von den astronomischen Sehwerkzeugen
von Reichenbach finden Sie einen Preiscourant in Gilberts Annalen 1811. 7tes (St)Stück.

[...]

(Ew.)Euer Excellenz erhalten hier zugleich etwas echtes Lignum nephriticum,
das einzige und letzte was in den hiesigen alten Apotheken noch aufzutreiben war.

einmahl herum]
und andern]
davor]
CC-BY-SA-4.0

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2023). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. Ende November 1812. Seebeck an Goethe. Z_1812-11-30_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-B780-1