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Wahre Anekdote. Berlin 1824

[Zu d]er Gattinn eines hiesigen Arztes kam jüngsthin
eine Kellerbewohnerin, sie fragend: ob der Herr Doctor nicht zu
Hause sey? Auf eine verneinende Antwort entgegnete sie sehr zutraulich[:]
Sagen Sie mich doch mal liebes Madamken, kooft Ihr lieber Mann nich
dodte Handwerksburschen? Mit großen Augen schaute die Befragte die
fragende an1 an, jedoch Letztere fuhr in ebenmäßigem Tone fort;
Sehen Sie, schönet Madamken, et is bei mich en liederlicher Schneidergeselle
in Schlafstelle gewest, der Kerl istiß2 gestern Abend punct Glock zwölf gestorben
und verdorben; 9 Dahler und 14 Groschen klingend Carant is mich die
arme Schneiderseele schuldig geblieben. Sehen Sie ick sitze in barbarisch ochsige
Kellermiethe, un kann so ville Geld nich missen. Wenn der Herr
Doctor mich nu den Dahler und 14 (Gr)Groschen uf en Fleck bezahlt: da kann er den
faulen Strick in die Portischäse nach't Glinikon dragen lassen,

Uf die Art kriegt der Herr Doctor en Cacaver zum ufschlitzen und
Studegum vor manche junge Herrens, sie n3 die noch nich recht recht
wissen, wo Lunge un Milz sitzn duht. Und ick kriege die silberne
Monethen vor meinen geldhungrigen Hauswirth, der von die Autonomie
wenigstens so ville versteht, dat er weeß wie det Menschenfell
abzustreefen iß; na un da denk ick, et is uns alle beede geholfen
Mich un den Herrn Doctor!

an]
istiß]
sie n]
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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2023). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 1824. Johannes Müller: Wahre Anekdote. Z_1824_z.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-C9C1-4