[15r]

Euer Hochfürstlichen Durchlaucht gnädigste Aufforderung
vom 7.n (d. M.)dieses Monats, über das hier urschriftlich submissest wieder
beigefügte Gesuch des vormaligen Referendarius Leo-
pold von Henning
vom 30.n (vor: M.)vorigen Monats gutachtlich zu berichten,
hat mich zuvörderst veranlaßen müßen, die Polizey In-
tendantur um Auskunft über dasjenige zu ersuchen,
was ihr über das Verhalten des Bittstellers seit seiner
Entlaßung aus dem polizeylichen Gefängniße bekannt
geworden, indem derselbe nicht Student ist und zu der
Universität überhaupt nicht in einem öffentlichen Ver-
hältnisse stehet.

Nach der von dieser Behörde soeben erhaltenen
Anzeige hat der p von Henning sich während der letz-
ten Zeit seines hiesigen Aufenthalts so geführt, daß
ein auf seine frühern Verbindungen Bezug habender
Umgang gar nicht bemerkt und überhaupt nichts wahr-
genommen ist, was zu einer nachtheiligen Vermuthung
über ihn veranlaßen könnte.

Diese Angabe finde ich durch das, was mir von
ihm gewöhnlich bekannt geworden ist, bestätigt, indem
ich ihn auf folgende Art näher kennen zu lernen Ge-
legenheit gehabt habe.

Kurz nach dem Antritte meines Amtes bei der
Universität suchte er von mir die Erlaubniß nach,
philosophische Repetitionen mit den Studenten hal-
ten zu dürfen und bat er um Bewilligung eines
öffentlichen Locals dazu. Von der Unstatthaftig-
keit dieses letztern Gesuches ließ er sich bald bedeu-
ten; die Absicht, privatim Repetitionen zu halten
konnte ich ihm jedoch nicht untersagen, auch schien mir
dies nicht zweckmäßig, selbst wenn ich weniger, als es
der Fall war, ihm vertrauen zu dürfen geglaubt
hätte. Er äußerte sich gleich damals sehr offen und
[15v]ausführlich gegen mich über die politischen Thorheiten der jun-
gen Leute, an welchen er früher Antheil genommen, wie
er die Nothwendigkeit eines strengen und wachsamen Be-
nehmens der Regierung dagegen vollkommen einsehe, und
sich als mit Recht für seine Theilnahme daran durch das wäh-
rend der Untersuchung erlittene Gefängniß bestraft an-
erkenne. Ich hatte keinen Grund, die Aufrichtigkeit die-
ser seiner freiwilligen Bekenntniße, welche sonst von einer
tiefen Verderbtheit und Bosheit gezeugt haben würde, zu
bezweifeln, und wenn gleich ein vorsichtiges Verhalten gegen
ihn nothwendig blieb, so schien es doch zweckmäßig, ihm die
Gelegenheit, die ausgesprochenen guten Gesinnungen dar-
zuthun, nicht zu versagen, indem die beabsichtigten Repe-
tition
en es möglich machten, sowohl seine eigene Haltung als
die der Studirenden, welche sich um ihn versamelten, zu be-
obachten und zu prüfen.

Nach allen Nachrichten hat der p von Henning diese Repe[ti]-
tionen
sowohl den Winter hindurch als auch im Laufe des
gegenwärtigen Semester's ihrem Zwecke gemäß regel-
mäßig mit 10 bis 30 Studirenden abgehalten, ohne daß sich
eine Spur von unerlaubten Absichten oder auch nur von
einer andern als rein wißenschaftlichen Beschäftigung er-
geben hat. Vielmehr gereicht dem p von Henning diese zum
Besten der Studirenden der Philosophie unentgeldlich
übernommene Bemühung, nach dem Urtheile des Pro-
feßor Hegel, zum Verdienste, und dürfte derselbe, bey
seinen sonstigen Fähigkeiten, sich bald zu einem guten aca-
demischen Docenten ausbilden. Gegenwärtig ist er mit
der Vorbereitung zur Doctor-Promotion beschäftigt.

[16r]

Auch hat derselbe mir sonst bey mehreren Gelegen-
heiten unaufgefordert Beweise des Vertrauens in den
Willen der Regierung gegeben, welche den Verdacht staats-
gefährlicher Absichten gegen ihn nicht wohl zulaßen, indem
er dadurch die lauteren Gesinnungen zu bethätigen ge-
sucht hat, die er, wie es früher mündlich1 gegen mich geschehen war,
in der vorliegenden Eingabe an Euer Durchlaucht von
neuem bekennt.

So wie nun, nach meiner Ansicht, der Staat von den-
jenigen, welche mehr oder weniger zu dem Verdachte einer
gegen ihn beabsichtigten Gefahr Anlaß gegeben haben, die
unzweydeutigste und offenste Darlegung ihrer Gesin-
nungen, und in Absicht der begangenen Vergehen, eine
durch ihr Benehmen bethätigte Reue zu fordern das Recht
hat, ehe die gegen sie verhängte Sicherheitsmaaßregeln
aufgehoben werden können, so glaube ich, daß damit
aber auch die nachtheiligen Folgen derselben aufhören müßen,
besonders gegen jüngere Personen, die einer solchen Verir-
rung, ohne tiefere Absicht, so leicht fähig sind.

Der p von Henning vertrauet daher, wie ich glaube,
zu Euer Durchlaucht gerechten Milde nicht ohne Grund,
daß Höchstdieselben geruhen werden, ihn der ferneren
strafenden Folgen seines jugendlichen Verschuldens bei
den von ihm dargethanen Gesinnungen, zu entledigen,
und kann ich keinen Anstand nehmen, seinen diesfälligen
Antrag, so vorsichtig wie um ihn selbst gefaßt hat, zur
Höchsten Genehmigung hiedurch ehrerbietigst zu emp-
fehlen.


(gez:)gezeichnet Schultz
An
des (Königl:)Königlichen Staats Canzlers pp
HErrn Fürsten von Hardenberg
Durchlaucht.
mündlich]
CC-BY-SA-4.0

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TextGrid Repository (2023). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 14. Juni 1820. C. L. F. Schultz an Hardenberg (Abschrift). Z_1820-06-14_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-BD42-2