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Geehrtester Herr Professor!

Die Güte und Geneigtheit, welche Sie in früheren Zeiten mir vielfältig bewiesen haben, macht mich so kühn Ihnen mit einer Bitte beschwerlich zu fallen. Nachdem ich Ende Augusts von einer Reise nach Italien zurückgekehrt bin, auf welcher ich[268]elf Monate zugebracht, bin ich seitdem ernstlich mit dem Vorhaben beschäftigt, mich auf irgend einer Universität zu habilitiren, um endlich doch, soweit ein theoretischer Mensch wie ich es kann, ins praktische Leben zu kommen. Den Plan hierzu habe ich immer gehabt; jedoch war ich bis zu meiner Abreise nach Italien viel zu sehr mit meinen eigenen Studien und Gedanken und mit dem Resultat derselben, der vor einem Jahr von mir erschienenen Schrift beschäftigt, als daß ich mich hätte durch irgend eine praktische Beschäftigung stören und zerstreuen mögen. Auch werde ich erst diesen Winter das zweiunddreißigste Jahr zurückgelegt haben.

Was ich zu lehren wünsche ist, wie leicht zu ermessen, nichts Anderes als spekulative Philosophie, die ich nach meiner Weise vorzutragen gedenke, von der, wer das Nähere darüber wissen will, sich aus meiner Schrift im Allgemeinen einen Begriff verschaffen kann. Die neue Laufbahn wünsche ich nächste Ostern endlich anzutreten, aber über die Universität, zu der ich mich wenden werde, bin ich noch unschlüssig: Berlin, Göttingen und Heidelberg haben in Hinsicht auf meine Zwecke und Verhältnisse jede Manches für sich und Manches wider sich. Was nun Berlin betrifft, so ist zuvörderst mir, der ich seit 1814 hier in Dresden wohne, diese Universität unter jenen dreien die nächste, was wegen des Transports meiner Bücher und Effekten und auch in mancher andern Hinsicht in Betracht kommt. Gründe von größerem Gewicht sind aber diese: daß ich dort wohl mehr als irgendwo ein Publikum fände wie es meinen Vorträgen angemessen ist, nämlich ein schon reiferes und gebildetes. Auf der dortigen Universität pflegen junge Leute ihre Bildung zu vollenden, nachdem sie auf anderen Universitäten den Grund gelegt haben; manche, besonders Mediciner studiren dort noch nach der Promotion fort, manche andere, die Vermögen haben und mit ihren Studien nichts als allgemeine höhere Ausbildung bezwecken, wählen Berlin, weil es in dieser Hinsicht jeder anderen Universität weit vorzuziehen ist, und zugleich um die Annehmlichkeiten der Residenz zu genießen: ja, es kommt hierzu noch, daß die höhere Geisteskultur, welche Teutschland heutzutage vor anderen Ländern auszeichnet, nirgends so sehr und[269]so allgemein zu Hause ist als gerade in Berlin, weshalb ich in dieser großen Stadt, bei Vorträgen der Art wie ich sie zu halten gedenke, und bei der Gabe eines sehr eindringlichen und lebendigen mündlichen Vortrags, die ich zu haben vermeine, wohl noch auf manche Zuhörer, die lange nicht mehr Studenten sind, mir Hoffnung machen dürfte.

Was mich nach solchen Betrachtungen allein noch Anstand nehmen läßt, nicht Berlin unbedingt zu erkiesen, ist bloß zweierlei: daß nämlich der Ort selbst wegen Eigenschaften die allen sehr großen Städten gemein sind und wegen der fatalen Lage in der Sandwüste mir nie gefallen hat, und sodann die Theuerheit des Aufenthalts, vermöge welcher ich dort beträchtlich mehr ausgeben würde, als etwa in Göttingen oder gar in Heidelberg, welches jedoch durch ein volleres Auditorium leicht compensirt werden könnte.

Nun kommt endlich noch dieses in Betrachtung, daß durch Solgers Tod theils eine Lücke in den philosophischen Vorträgen entstanden und folglich auszufüllen ist, theils eine Professur erledigt worden, auf welche ich gestehe, mir Hoffnung zu machen, falls nicht ein Würdigerer, sie zu besetzen, gefunden wird.

Meine Bitte an Sie, geehrter Herr Professor, ist, daß Sie die Güte haben, mir zuvörderst über dieses Alles aufrichtig Ihre Meinung zu sagen, insbesondere ob sie glauben, daß ich in Berlin auf eine mäßige Anzahl Zuhörer rechnen dürfte, ob Ihnen vielleicht hin und wieder Urtheile über meine Schrift zu Ohren gekommen sind, ob Sie endlich glauben, daß die Fakultät mir nicht abgeneigt seyn würde. Ich stelle es Ihnen ganz anheim, mit wem Sie wollen, davon vorläufig zu reden. Zugleich bitte ich mir anzuzeigen, welche Specimina meine Habilitation erfordern würde, ob etwa meine Schriften als ein Theil derselben gelten können, an wen und wie ich die förmliche Anzeige deshalb zu machen hätte, auch wann dieses spätesten geschehen müßte. Endlich würde es mir lieb seyn, die jetzige Anzahl Ihrer Studenten zu erfahren.

Von ganzem Herzen bitte ich Sie zu verzeihen, daß ich Ihnen mit einer so weitläufigen Angelegenheit Langeweile mache und so viel Mühe zumuthe. Es ist Niemand in Berlin,[270]zu dem ich in jeder Hinsicht ein so großes Zutrauen hegte als zu Ihnen, und der mir so viele Freundlichkeit bewiesen hätte als Sie. Da es einen für mich sehr wichtigen Schritt betrifft, so werden Sie durch eine vollständige und baldige Erfüllung meiner Bitte mich zur dauerndsten Dankbarkeit verpflichten.

In dem sehr wunderlichen gegenwärtigen Zeitpunkt möchte es wohl nicht überflüssig seyn zu versichern, daß mir nichts fremder ist als irgend eine politische Tendenz oder auf die Zeitgenossen in deren eigenen Angelegenheiten irgend einen Einfluß zu gewinnen, wovon meine Schriften ebenfalls ein Zeugniß ablegen. Was mich jetzt ebenso wie von jeher beschäftigt, ja mich, wie ich von Natur bin, allein beschäftigen kann, sind Dinge, welche die Menschheit zu allen Zeiten und in allen Ländern auf gleiche Weise betreffen, und ich würde es für eine Herabwürdigung meiner selbst halten, wenn ich die ernstliche Anwendung meiner Geisteskräfte auf eine mir so klein und eng erscheinende Sphäre richten sollte als die eben gegenwärtigen Umstände irgens einer bestimmten Zeit oder Landes sind. Ja ich bin sogar der Meinung, daß jeder Gelehrte im höheren Sinn des Worts dieser Gesinnung seyn und das Ausbessern der Staatsmaschine den Staatsmännern überlassen sollte, wie diese ihm das höhere und vollkommenere Wissen. Ganz außerordentlich gering aber denke ich von jenen soit-disant Philosophen, die zu Publicisten geworden sind und die eben dadurch, daß sie unmittelbar in und auf ihre Zeitgenossen eine Wirkungssphäre suchen, das deutlichste Bekenntniß ablegen, daß sie keine Zeile zu schreiben fähig sind, die einst auch ein Nachkomme zu lesen würdigte.

So viel, geehrter Herr Professor, von meiner Angelegenheit, die mich gezwungen hat, sehr viel von mir selbst zu reden. Von Ihrer Güte hoffe ich mit Zuversicht die Erfüllung meiner Bitte. Mit vieler Theilnahme habe ich vor einem Jahre in Rom Ihre Verheirathung vernommen und bitte meinen verspäteten aber herzlichen Glückwunsch zu genehmigen.

Mit aufrichtiger Hochachtung ...

Arthur Schopenhauer

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TextGrid Repository (2023). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. [nach] 1. Dezember 1819. Schopenhauer an Lichtenstein. Z_1819-12-01_o.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-BC18-3