[47r]
Hochwohlgebohrner Herr
Höchstverehrter Herr Geheimer Staatsminister!
 

Fast muß ich fürchten daß Ew. Excellenz mich, da ich seit so geraumer Zeit kein
Lebenszeichen von mir gegeben, zu den Verschollenen zählen werden. Um
diesem Nachtheil zu begegnen, erlaube ich mir Höchstdieselben zu versichern
daß ich während der beyden letzten Jahre nicht nur überhaupt nicht unthätig,
sondern auch sowohl in diesem als auch im vorige Sommersemester ins beson-
dre auf dem chromatischen Gebiet nach besten Kräften beschäftigt gewe-
sen bin. Da ich auf Veranlassung meines dermaligen Ferienbesuchs hier in
meiner Vaterstadt binnen einigen Tagen (wahrscheinlich nächsten Mittewoch)
auch nach Weimar zu kommen hoffe und somit der frohen Aussicht lebe
Ew. Excellenz persönlich aufwarten zu dürfen, so unterlasse ich es mich
hier schriftlich über meine chromatischen Bemühungen während des
vorerwähnten Zeitraums zu verbreiten indem ich mir vorbehalte
Ew. Excellenz mit Ihrer gnädigen Erlaubniß hierüber mündlichen,
und wie ich im voraus sagen darf nicht unerfreulichen, Bericht zu
[47v]erstatten. - Der nächste Zweck dieser ehrerbietigsten Zeilen ist, au-
ßer der Ew. Excellenz hiermit vorgetragenen Bitte persönlich vor
Höchstdenselben erscheinen zu dürfen, die vorläufige Über-
sendung des hierbey erfolgenden mir von Berlin aus zu-
gegangenen dramatischen Versuchs, dessen junger Verfasser, ein
eifriger Schüler Hegels, gegenwärtig in Paris ist und mich
bey seinem Abgang von Berlin ersucht hat, seine während sei-
ner Abwesenheit im Druck fertig gewordene Arbeit Ew. Ex-
cellenz vorzulegen, da ihm selbst, auch abgesehen von seiner
dermaligen Abwesenheit aus dem Vaterlande, seine Bescheidenheit
nicht verstattete sich Höchstdenselben selbst mit seinem poetischen
Versuch zu nahen. - Gleichzeitig erlaube mir noch Ew. Ex-
cellenz anliegend eine von meinem Freund Förster aus Ber-
lin
mir zugegangenen Artikel aus der dort erscheinenden Vossi-
schen Zeitung
über die von Deutschen zu Paris veranstaltete Feier
des 28sten August zu überreichen und darf ich die Versicherung
hinzufügen daß ich, mit allen daheim gebliebenen Freunden,
die im Nahmen unserer Landsleute vieleicht zum ersten Mal
in solcher Weise ausgesprochenen Gesinnungen der Dankbarkeit
und der Ehrerbietung von ganzem Herzen mit tiefen Be-
wußtseyn theile.

Ew. Excellenz
ganz unterthäniger Diener
Leopold von Henning.
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TextGrid Repository (2023). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 24. September 1825. von Henning an Goethe. Z_1825-09-24_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-CA50-3